Im Namen Des Schweins
wenn Sie mir auch eine Kopie an meine Abteilung schicken könnten. Mir ist gerade aufgefallen, dass es zwölf Jahre her sein muss, dass ich das letzte Mal aus dem Büro herauskam, September 89. Ich könnte mir vorstellen, dass ich überhaupt nicht mehr weiß, wie man einen Bericht fertigstellt, und sei es auch nur über zwei Nachbarn, die sich gegenseitig eine Bierflasche über die Birne gezogen haben.«
Berganza schmunzelt: »Es gibt Dinge, die verlernt und vergisst man nie.«
»Ja … Das heute dürfte von einem solchen Kaliber sein, nehme ich an?«
»So etwas habe ich wirklich noch nie gesehen. Ehrlich gesagt, freue ich mich schon darauf, wenn wir hier raus sind, und ich mir ein Bierchen genehmigen kann. Oder vielleicht auch drei.« Er grinst wieder, diesmal aber ohne jede Heiterkeit.
»Um wie viel Uhr wurde sie gefunden?«
»Um vier Uhr morgens, von denen aus der Schlachterei. Das sind die Jungs, die mit dem Messer umgehen können, damit wir uns richtig verstehen. Der mit den blauen Haaren und der Narbe war der Schlachter. Er saß schon mal sechs Monate lang im Knast, weil er einem Typen das Ohr abgeschnitten hat … Jetzt schneidet er jeden Tag zweihundert Schweinen eigenhändig den Kopf ab. Ich vermute mal, dass so jemand keine starken Emotionen mehr braucht. Sie haben ja sein Gesicht gesehen. Dabei müssten sie erst einmal seinen Arbeitskoffer sehen: Da drin sieht es aus wie bei König Artus. Da ist sogar ein Handschuh drin aus dem Zeug, aus dem man Kettenhemden macht.«
»Werden denn die Schweine immer noch am Hals aufgeschnitten?«
Berganza nickt: »Soweit ich das verstanden habe, hat man sie eine Zeitlang mit elektrischem Strom getötet. Davon scheinen sie aber zu steif geworden zu sein, so dass man sie jetzt nur noch betäubt, damit sie keinen Ärger machen und dann kopfüber aufgehängt. Und dann bekommen sie einen Schnitt in die Halsschlagader und verbluten dann. Aber davon versteht Prades weit mehr als ich …«
Der Kommissar dreht den Kopf nach rechts zu dem Gerichtsmediziner. Der hat die Ellbogen auf dem Tisch aufgestützt und säubert sich sorgfältig die Fingernägel.
»Möchten Sie, dass ich Ihnen berichte, was ich schon mit ziemlicher Sicherheit sagen kann?«, fragt er, als er die Blicke auf sich ruhen spürt. Mit einem Unterton, der dem Kommissar leicht sarkastisch zu sein scheint.
»Dafür wären wir Ihnen dankbar«, sagt er.
»Gut.« Prades verschränkt die Hände auf dem Tisch und macht eine kurze Pause, um einzuatmen und die Gedanken zu sortieren. »Also, wir haben es mit einer fast vollständigen Leiche einer Frau zu tun, nicht mehr jung, etwa fünfundsechzig Jahre alt, deutlich übergewichtig, weiße Hautfarbe.«
Hier hält er inne und schaut den Kommissar an.
»Ist das alles?«
»Das ist alles, was wir sicher wissen.«
»Und was gibt es an Wissenswertem, was wir noch nicht ganz sicher wissen …?«
»Das ist eine unangenehme Frage für einen Gerichtsmediziner. Und ich bin mir sicher, dass sie schon mit einigen von uns zu tun gehabt haben.«
»Die Besten von ihnen konnten sich den Luxus erlauben, auch mal eine Aussage zu riskieren«, sagt der Kommissar.
Bei Prades deutet sich ein Schmunzeln an: »Es gibt nicht so viel zu sagen, wenn man jetzt nur mal von dem ausgeht, was wir gefunden haben. An einem Finger ist ein Schnitt, der mehrere Tage alt ist und leicht infiziert war. Die Wundheilung verlief bei der Person eher schlecht. Man könnte vermuten, dass sie Diabetikerin war, was bei einer Frau in den Wechseljahren und bei diesem erheblichen Übergewicht auch nichts Ungewöhnliches wäre. Wir haben auch kein anderes offensichtliches Indiz für eine Pathologie gefunden, die damit in Zusammenhang stehen könnte. Soweit man das mit bloßem Auge feststellen kann zumindest. Die Muskulatur ist kräftig und ohne Anzeichen für eine erwähnenswerte Hypertrophie. Krampfadern dagegen haben wir gefunden, die ich aber einer angeborenen Prädisposition zuschreiben würde, die noch begünstigt wird durch ihre Fettleibigkeit und die damit zusammenhängenden Durchblutungsstörungen.
Oberhalb der Nasenscheidewand und hinter der Ohrmuschel sprechen Anzeichen dafür, dass sie eine Brille getragen hat. Vermutlich nicht die ganze Zeit, womöglich um Fernsehen zu schauen oder um zu nähen, wofür wiederum winzige Einstiche in den Fingern sprechen … Abgesehen von einem Ring am linken Ringfinger, den sie schon getragen haben dürfte, als sie gut vierzig Kilo weniger wog, gibt es keine Anzeichen
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