Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Pfahlbau

Im Pfahlbau

Titel: Im Pfahlbau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Theodor Sonnleitner
Vom Netzwerk:
ab und zu stieß er auf einen Felsbrocken, wühlte ihn mit beiden Händen bloß und warf ihn über den Rand. Dann lauschte er dem Aufprallen, Springen und Kollern in die Tiefe nach.Inzwischen war der Mond hochgestiegen und stand über seinem Kopf, und Peter bemerkte mit Entsetzen, daß er tiefer in der Grube war, als er vermutet hatte. Sein Versuch, mit ausgestreckten Armen den Rand zu erreichen, mißlang. Beim Anklammern und Hochziehen brach ein Erdbrocken ab, der ihn zu Boden warf. Immer ängstlicher, immer unüberlegter wurden seine Bemühungen; da schien es ihm, als gäbe der Grund unter seinen Füßen nach, als sinke er langsam, unaufhaltsam tiefer und tiefer. Gelähmt vor Schreck verharrte er regungslos. Unaufhörlich rieselten kleine Lehmklümpchen, die sich im Nachtwind vom Rande der Grube lösten, herab und ließen ihn erbeben. Wenn die lehmgefüllte Felskluft in die Quellhöhle des Klammbachs mündete und die ins Gleiten geratenen Erdmassen in die Tiefe glitten, wenn sie ihn mit sich hinabführten, wenn nachstürzendes Erdreich und Gestein ihn erschlüge und erstickte – dann, dann wäre er verloren, begraben in kalter Tiefe! Sollte er Eva nie mehr wiedersehen? Jetzt erst, wo es zu spät war, wußte er, daß er sie lieb hatte. Und aus seiner Brust rang sich ein Schrei, der weithin durch die nächtliche Öde klang: »Eva! Eva!« Und von hoch überhängender Felswand kam es zurück: »Eva! Eva!« Gleich darauf hörte Peter, wie sich etwas über die Schollen tastete, die den Pfad deckten; dann fielen vom Rand der Grube Brocken nieder, das Etwas glitt zu ihm herab und streifte weich seine Füße. Peters suchende Hand griff ins Fell seines Fuchshundes und spürte das Nesselseil an dessen Halsriemen. Mit einem Aufschrei hob er Schnapp empor und schmiegte seine Wange an den warmen Tierleib. Seine Hoffnungslosigkeit war dahin. Ruhiger geworden, fand er, daß der Boden unter ihm zwar weich war, sich aber nicht abwärts bewegte. Hatte ihm seine Angst etwas vorgetäuscht, oder waren die Erdmassen zum Stillstand gekommen? Behutsam begann er, für Hände und Füße Vertiefungen in die Lehmwand zugraben, und ehe der Morgen graute, stieg er, die Linke am Seil und in der Rechten den Spaten als Stütze, aus der Grube und zog auch Schnapp heraus.
    Als es hell wurde, mußte Peter über seine Angst lächeln, sie war grundlos gewesen. Hart an der Felswand wühlte er eine Furche in das ausgeworfene Erdreich und legte sich zum Schlafen nieder. Der Fuchshund zerbiß die Leine und entfernte sich, um zu stöbern. Bald kehrte er mit einem Murmeltier im Fang zurück, fraß sich satt und schmiegte sich an die Hände seines Herrn zu behaglichem Schlummer. Als Peter im Laufe des Vormittags ausgeruht und von der Sonne wohlig durchwärmt erwachte, blickte er hinab in die schwindelnde Tiefe des lichtüberfluteten Grundes, wo er Eva wußte. Er suchte ihre Hütte; kein Rauchwölkchen stieg dort auf. Aber drüben an der Moorleiten mischte sich gelber Qualm mit dem aufsteigenden Nebel, der Rauch des Torffeuers; Eva hatte wohl nachgelegt.
    Da stand Peter auf und beeilte sich, mit der Fallgrube fertig zu werden, um Eva ablösen zu können. Vorsichtig stieg er aus dem Gewand zur Salzleiten nieder. Bald klangen die Schläge seiner Axt durch die Stille. Er hieb von zwei alten Buchen dünne Äste und Zweige ab, mit denen er die Fallgrube decken wollte. Zum Wildwechsel zurückgekehrt, legte er erst der Quere und dann der Länge nach schwache Äste und Reiser über die Grube und streute Lehmbrocken darüber, bis kein Blatt mehr zu sehen war. Er gedachte, in Evas Nähe ein paar ruhige Tage zu verbringen, ehe er die Fallgrube nachsehen mußte.
    Als er aber spät am Nachmittag vor dem Töpferofen anlangte, sah Eva ihn so abweisend an, daß er statt eines freundlichen Grußes die Worte hervorstieß: »Ärgerst du dich wieder, daß ich weg war, und fragst gar nicht erst, was ich gemacht hab'!«
    Eva richtete ihre schlanke Gestalt hoch auf, und ihreAugen, die im Widerschein des Feuers glänzten, maßen verächtlich seine gedrungene, lehmverschmierte Gestalt. Leise erwidert sie: »Hast recht, ich frag' nicht danach, nur so viel weiß ich, daß du von der angefangenen Arbeit weggelaufen bist.« Damit wandte sie sich um und ging heimzu.
    Es war das erstemal, daß sie es wagte, Peter zu schelten. Sein alter Zorn stieg in ihm auf. Was er dort oben in der Einsamkeit der Nacht empfunden, erhofft und gewünscht hatte, es schwand in der Umgebung seiner Alltagswelt.

Weitere Kostenlose Bücher