Im Rausch der Ballnacht
geschehen würde – nur dass sie alles tun würde, um Eleanor dazu zu bringen, sie beide in ihrem Haus bleiben zu lassen. “Ich sehe eine Droschke! Warte hier!”, rief sie und lief die Pier hinunter.
Der Kutscher war froh über die Passagiere und half ihnen fröhlich, ihr Gepäck einzuladen. Innerhalb kürzester Zeit erreichten sie Merrion Square, wo es die prachtvollsten Häuser von ganz Dublin gab. Als die Kutsche vor Eleanors Haus stehen blieb, hielten Lizzie und Anna einander an den Händen. Es stand an der Nordseite des Parks, ein großes Kalksteingebäude mit korinthischen Säulen am Vordereingang, über denen das Giebeldreieck eines Tempels thronte. Das Haus war vier Stockwerke hoch, mit verschiedenen Terrassen und Balkonen, von denen aus man den ganzen Platz übersehen konnte. Im Park gab es englischen Rasen, Blumengärten und viele kiesbestreute Wege. Aber Lizzie sah von alledem nichts. Von Angst und dunklen Ahnungen erfüllt, blickte sie an der Front empor.
“Meine Damen? Ich habe Ihnen das Gepäck hierher gestellt”, sagte der Kutscher vom Gehsteig her, wo er wartete.
Lizzie bemerkte, dass er die Wagentür geöffnet hatte. Mit seiner Hilfe stieg sie aus, gefolgt von Anna, und reichte ihm das Fahrgeld, das sie vereinbart hatten. Während er davonfuhr, standen sie da und sahen einander nur an.
Lizzie biss sich auf die Lippe. “Nun, da wären wir also. Lächle, Anna, als wäre nichts geschehen, als wären wir hier nur auf einem Ausflug in die Stadt und wollten unsere liebe Tante besuchen.”
Anna sprach Lizzies geheimste Gedanken aus, als sie leise sagte: “Aber was ist, wenn sie uns nicht hineinlässt?”
“Das muss sie”, sagte Lizzie, “denn eine Ablehnung werde ich nicht akzeptieren.”
“Du bist so tapfer geworden”, sagte Anna und sah aus, als wollte sie gleich anfangen zu weinen.
In der Hoffnung, beruhigend zu wirken, nahm Lizzie Annas Hand, obwohl sie genauso viel Angst hatte wie ihre Schwester. “Du siehst so verschreckt aus wie ein Franzose auf dem Weg zur Guillotine, und das geht nicht”, sagte sie.
Anna nickte bedrückt.
Sie ließen das Gepäck an der Straße stehen und gingen die Stufen zum Vordereingang hinauf, vorbei an einem Paar lebensgroßer Löwenstandbilder und über eine Veranda zu der geschnitzten Eichentür, an der ein livrierter Diener wartete. Er nickte ihnen zu und öffnete die Tür. Lizzie fiel auf, dass sie noch immer Annas Hand hielt, ein Zeichen dafür, wie aufgeregt sie war, und sie ließ sie los, als sie eintraten. Das runde Foyer war mit schwarz-weißem Marmor ausgelegt, von der Decke hing ein riesiger Lüster aus Gold und mit Kristallen, und ihnen gegenüber lag die geschwungene Treppe. Als ein Diener erschien, gab Lizzie ihm ihre Karte. “Guten Tag, Leclerc”, sagte sie und lächelte. “Bitten sagen Sie unserer Tante, dass wir hier sind.” Schon während sie sprach, konnte sie die hohe, durchdringende Stimme ihrer Tante aus dem Salon hören und dazu das Lachen eines Gentleman.
“Gewiss, Mademoiselle”, sagte der Butler und verneigte sich, ehe er davonging.
“Tante Eleanor hat Besuch”, flüsterte Anna nervös.
“Dann wird sie sich zusammennehmen müssen”, gab Lizzie zurück, wohl wissend, dass Eleanor immer das machte, was sie wollte. Sie war so reich, dass sie alles sagen und tun konnte, wonach ihr der Sinn stand.
Eleanors Stimme klang lauter. “Ich sagte
was
? Meine Nichten sind hier? Meine Nichten sind
hier
? Welche Nichten, Leclerc?”
Besorgt sahen Lizzie und Anna einander an.
“Ich habe keine Verwandten eingeladen”, rief Eleanor. “Schicken Sie sie fort! Schicken Sie sie gleich fort!”
Lizzie holte tief Luft. Sie wollte sie nicht einmal sehen? Aber gleich darauf hörte sie die klappernden Absätze ihrer Tante, und Eleanor erschien in einem der Rundbögen, die zum Foyer führten. Auf ihrem Gesicht zeigten sich Unglaube und Zorn. Ihr ganzer Mut drohte Lizzie zu verlassen, aber sofort nahm sie sich zusammen und versuchte, freundlich auszusehen. Dann bemerkte sie, dass ihre Tante von einem hochgewachsenen, dunkelblonden Herrn begleitet wurde.
“Was ist los?”, fragte Eleanor. Tapfer trat Lizzie vor und knickste. Dabei zitterte sie heftig. “Guten Tag, Tante Eleanor. Wir sind für eine Frühlingsreise in die Stadt gekommen und Mama bat uns, bei dir hereinzuschauen. Wir hoffen, es geht dir gut?”
“Ob es mir gut geht? Frühlingsreise? Was ist das für ein Unsinn?”, fuhr Eleanor sie an. Inzwischen war ihr Gesicht rot
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