Im Reich des Wolfes
nickte. »Es ist fast an der Zeit, den Kristall zurückzugewinnen«, sagte er und starrte in die Flammen.
»Er sollte zerstört werden«, riet Dardalion.
»Wie du willst. Du mußt einen deiner Männer schicken - einen Priester, der aller Wahrscheinlichkeit nach von seiner Macht nicht verdorben wird. Hast du einen solchen Mann?«
»Verdorben?«
»Ja. Selbst in seinem ruhenden Zustand übt er großen Einfluß aus und feuert die Sinne an wie ein starkes Getränk, das die Hemmungen nimmt. Der Mann, den du schickst, muß große Kontrolle über seine ... sagen wir ... Leidenschaften haben. Jede Schwäche wird hundertfach verstärkt. Ich werde keinem Nadir eine solche Aufgabe anvertrauen.«
»Wie du sehr wohl weißt, gibt es einen unter meinen Priestern, der die Stärke besitzt, dieses Böse zu bewältigen«, sagte Dardalion. Er beugte sich dicht zu dem greisen Schamanen vor. »Aber sag mir, Kesa Khan, was ist noch da unten?«
»Hast du deine große Macht nicht benutzt, um das herauszufinden?« entgegnete der alte Nadir und konnte ein verächtliches Grinsen nicht unterdrücken.
»Kein Geist kann die unteren Ebenen durchdringen. Dort ist eine Kraft, die um vieles stärker ist, als ich je erlebt habe. Aber du weißt das alles, alter Mann, und noch mehr. Ich bitte nicht um deine Dankbarkeit - die ist mir gleichgültig. Wir sind nicht deinetwegen hier. Aber ich möchte um ein wenig Aufrichtigkeit bitten.«
»Bitte, um was du willst, Drenai. Ich schulde dir nichts! Du willst den Kristall - dann such ihn.«
Dardalion seufzte. »Also gut. Genau das werde ich tun. Aber ich werde nicht Ekodas in die Tiefe schicken. Ich gehe selbst.«
»Der Kristall wird dich vernichten!«
»Vielleicht.«
»Du bist ein Narr, Dardalion. Ekodas ist um vieles stärker als du. Das weißt du.«
Der Abt lächelte. »Ja, ich weiß.« Das Lächeln verblaßte, und sein Blick wurde hart. »Und jetzt ist die Zeit für Vortäuschungen vorbei. Du brauchst Ekodas. Ohne ihn sind deine Träume nur Staub. Ich habe die Zukunft gesehen, Kesa Khan. Ich habe mehr gesehen, als du ahnst. Alles hier ist in einem sehr empfindlichen Gleichgewicht. Eine falsche Strategie, und deine Hoffnungen sind zunichte.«
Der Schamane entspannte sich und legte Holz auf die Flammen in dem Becken nach. »Wir sind gar nicht so verschieden, du und ich. Also gut, ich werde dir alles sagen, was du wissen willst. Aber es muß Ekodas sein, der das Böse vernichtet. Einverstanden?«
»Laß uns reden, dann entscheide ich.«
»Einverstanden, Drenai.« Kesa Khan holte tief Luft. »Stell deine Fragen.«
»Welche Gefahren drohen in den unteren Ebenen?«
Der Schamane zuckte die Achseln. »Woher soll ich das wissen? Wie du schon sagtest, keine geistige Macht kann dorthin vordringen.«
»Wen würdest du mit Ekodas schicken?« fragte Dardalion leise.
»Die Drenaifrau und ihren Liebhaber.«
Dardalion sah das Funkeln in den Augen des Schamanen. »Dein Haß ist durchsichtig, Kesa Khan. Du brauchst uns zwar jetzt, aber am Ende möchtest du uns alle tot sehen. Vor allem die Frau. Warum?«
»Pah, sie ist ohne Bedeutung!«
»Und du lügst weiter«, fauchte Dardalion. »Aber wir werden uns wieder unterhalten, Kesa Khan.«
»Du wirst Ekodas schicken?«
Dardalion schwieg einen Augenblick. Dann nickte er. »Aber nicht aus den Gründen, die du meinst«, sagte er.
Der Abt stand auf und verließ den Raum. Der Schamane kämpfte seinen Ärger nieder und blieb mit verschränkten Beinen vor dem Feuer sitzen. Was wußte der Drenai noch? Was hatte er über den, der die Stämme eint, gesagt? Kesa Khan rief sich die Worte ins Gedächtnis: >Ein riesiges Spinnennetz möglicher Zukünfte. Aber die meisten interessierten mich nicht. Ich folgte dem Pfad, der von Kar-Barzac ausgeht, und dem Kind, das hier empfangen wird. Ein Mädchen. Ein schönes Mädchen, das einen jungen Kriegsherrn heiraten wird. Ihr Sohn wird mächtig sein, ihr Enkel noch mächtiger.<
Kannte er die Identität des jungen Kriegsherrn? Wo man ihn finden konnte? Kesa Khan fluchte leise und wünschte, er hätte die Kraft, noch einmal über die Pfade des Nebels zu wandern. Aber er spürte sein Herz unter den Rippen schlagen, schwach flatternd wie ein sterbender Spatz. Seine dunklen Augen verengten sich. Er hatte keine Wahl. Er mußte seine Pläne fortführen. Sollte der Drenai doch den Kristall vernichten - für die Zukunft der Nadir war er nicht von Bedeutung. Aber es war lebenswichtig, daß Ekodas in die Kammer ging, und mit ihm die Frau,
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