Im Reich des Wolfes
getroffen. Nach dem Kampf hatte Angel im Lazarett der Arena gesessen. Der Arzt nähte seine Wunden, während auf dem Tisch daneben Sorrins blutiger Leichnam lag. Daneben saß Senta, einen in Honig und Wein getränkten Verband um eine leichte Heischwunde in der Schulter gewickelt.
»Du hast ihn gut ausgebildet«, sagte Senta. »Er hätte mich fast geschafft.«
»Ja. Fast«, antwortete Angel.
»Ich freue mich darauf, gegen den Meister anzutreten.«
Angel hatte in die eifrigen Augen des jungen Mannes geblickt, den spöttischen Ausdruck des schönen Gesichts gesehen, das Lächeln, das fast eine höhnische Grimasse war. »Das wird nicht geschehen, Junge«, hatte Angel erwidert, und die Worte hatten ihm wie Säure im Mund gebrannt. »Ich bin zu alt und zu langsam. Es ist dein Tag. Genieße ihn.«
»Du verläßt die Arnea?« flüsterte Senta erstaunt.
»Ja. Das war mein letzter Kampf.«
Der junge Mann nickte; dann fluchte er, als der Pfleger den Verband um seine Schulter verknotete. »Du Tölpel!« fuhr er ihn an.
»Es tut mir leid, Herr!« sagte der Mann zurückweichend, das Gesicht vor Angst verzerrt.
Senta blickte wieder zu Angel hinüber. »Ich glaube, du bist klug, alter Mann. Aber ich bin enttäuscht. Du bist ein Liebling der Massen. Ich hätte ein Vermögen machen können, indem ich dich besiegte.«
Angel legte Holz aufs Feuer und stand auf. Senta hatte nur noch ein Jahr weitergekämpft; dann hatte er sich der Gilde angeschlossen, bei der er als Kopfgeldjäger weit mehr verdiente als zu seiner Zeit als Gladiator. Die Tür hinter Angel ging auf, und er spürte einen kalten Hauch. Als er sich umdrehte, sah er Miriel in ihr Zimmer gehen. Sie war nackt und trug ihre Kleider über dem Arm. Ihr Körper war naß von einem Bad im Fluß. Sein Blick nahm den schmalen Rücken und ihre Taille auf, die langen, muskulösen Beine und das feste, runde Hinterteil. Erregung durchflutete ihn, und er drehte sich abrupt wieder zum Feuer um.
Nach ein paar Minuten gesellte sich Miriel zu ihm, ihr Körper jetzt verhüllt von einem losen Gewand aus grauer Wolle. »An was für eine Arbeit dachtest du?« wollte sie wissen und setzte sich in einen Sessel ihm gegenüber.
»Weißt du, warum ich dich geschlagen habe?«
»Du wolltest mich beherrschen.«
»Nein. Ich wollte dich wütend sehen. Ich mußte wissen, wie du reagierst, wenn dein Blut in Wallung gerät.« Müßig stocherte er mit einem eisernen Schürhaken im Feuer. »Hör mir zu, Mädchen. Ich bin kein Lehrer. Ich habe nur zwei Menschen ausgebildet - junge Männer, die ich gern hatte. Beide starben. Ich bin ... war ... ein guter Kämpfer. Aber nur, weil ich eine Fähigkeit besitze, heißt das nicht, daß ich sie auch weitergeben kann. Verstehst du das?« Sie schweig, und ihre großen Augen starrten ihn ausdruckslos an. »Ich war ein bißchen in Danyal verliebt, glaube ich, und ich habe Achtung vor deinem Vater. Ich kam hierher, um ihn zu warnen, damit er die Gegend verläßt, nach Ventria oder Gothir geht. Und ich gebe zu, ich könnte das Gold gut gebrauchen. Aber deswegen bin ich weder hergekommen noch geblieben. Wenn du mir nicht glauben willst, dann gehe ich morgen früh - und ich werde keinen Anspruch auf das Gold erheben.« Miriel sagte noch immer nichts.
»Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch sagen soll.« Er zuckte die Achseln und lehnte sich zurück.
»Du hast gesagt, wir wollten arbeiten«, erwiderte sie leise. »An meinem Geist. Was hast du damit gemeint?«
Er breitete die Hände aus und starrte ins Feuer. »Hat dein Vater dir jemals von der Probe erzählt, auf die er Danyal gestellt hat?«
»Nein. Aber ich hörte, wie du gesagt hast, ich würde sie nicht bestehen.«
»Doch, du würdest.« Und Angel erzählte ihr von dem Kieselstein im Mondlicht. Er sprach von dem Herzen eines Kriegers und der Bereitschaft, alles zu riskieren, aber dem Vertrauen auf den Glauben, daß das Risiko berechenbar blieb.
»Wie erreicht man das?« fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, gestand Angel.
»Die beiden Männer, die du ausgebildet hast - hatten sie diese Fähigkeiten?«
»Ranuld glaubte es. Aber in seinem ersten Kampf verkrampfte er sich. Seine Muskeln waren angespannt, seine Bewegungen stockend. Sorrin hatte die Gabe, glaube ich, aber er traf auf einen besseren Mann. Die Gabe entspringt der Fähigkeit, jenen Teil der Vorstellungskraft abzuschirmen, der seine Nahrung aus Angst gewinnt. Du weißt schon, den Teil des Verstandes, der sich schreckliche Verletzungen und
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