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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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endete in einer bauschigen Schleppe, an den Ohren der Künstlerin baumelten christbaumkugelgroße goldene Klunker, um ihren Hals wand sich eine Federboa. Aus dem porzellanweiß geschminkten Gesicht leuchtete grellrot ein kleingemalter Puppenmund.
    Minutenlang, so wirkte es, starrte Frau Karamasova aus schwarz umrandeten Kohleaugen ins Publikum, schmerzlich versunken in die Klagelaute des Orchesters. Endlich, als habe sie einen schrecklichen Entschluss gefasst, ließ sie Luft einströmen in ihren mächtigen Brustkorb, was die strammeBrünne vollends zu sprengen drohte, das Mündchen öffnete sich zu einem breiten Froschmaul, und heraus strömte so etwas wie ein Orgelton. Tief, herzzerreißend, wunderschön. Daraus formte sich eine Melodie, die warme, volle Stimme glitt mühelos hinauf in höhere Lagen, sie sang eine traurige, alte Geschichte, jeder begriff sie, auch ohne zu verstehen. Das Publikum klatschte begeistert, als das Lied zu Ende war. »Donnerwetter«, rief der Vater, »Mhm«, murmelte die Mutter. Mariana tat keinen Pieps.
    Sie saß da wie versteinert. Sie hatte gerade eine Offenbarung erlebt: Es gab auch tiefe Frauenstimmen. Das hohe Gezwitscher der Mutter war nicht die einzig mögliche, einzig richtige Ausdrucksform einer weiblichen Stimme. »Was ist los mit dir, ist dir nicht gut, gefällt es dir nicht, sollen wir gehen?«, fragte die Mutter. Mariana konnte nur mühsam den Kopf schütteln. Nicht einmal ein Erdbeben hätte sie von hier weggebracht, solange diese Wunderstimme in sie eindrang und ihr innerstes Wesen vor Glück erschauern ließ.
    Die Liebe zum Singen hatte sie wahrhaftig mit der Muttermilch eingesaugt. Und die Mutter erklärte ihr immer wieder: »Singen können, das ist das Schönste auf der Welt.« Wenn sie sich gerade über ihren wirren Ehemann geärgert hatte, fügte sie noch hinzu: »Aber nicht nur als Liebhaberei. Nein, als Beruf. Wenn du Erfolg hast als Sängerin, dann kann dir der Rest der Welt den Buckel runterrutschen.«
    Das glaubte auch die kleine Mariana. Aber etwas hatte sie eben gequält. Ihrer Meinung nach hatten alle Sängerinnen einen Sopran. Alles andere war nur Gekrächze. Ihre Kinderstimme gefiel ihr nicht. Und eine Ahnung sagte ihr, dass ihre Erwachsenenstimme anders klingen würde als die der Mutter. Das hatte sie so traurig gemacht, dass sie darüber nicht sprechen mochte, mit keinem Menschen. Doch nun hörte sie die tiefe Stimme der Russin. Mit einem Schlag waren aller Kummer, alle Mutlosigkeit verflogen. Jetzt konnte Mariana beruhigt und vergnügt abwarten. Ob hoch, ob tief, darauf kam esnicht an. Auch ihre kleine Kinderstimme und ihre eigene Sangeslust brauchte sie nicht mehr zu verstecken.
    Noch in Petersburg war Mariana tief erfüllt von ihrem Erlebnis. »Ich werde Sängerin«, erzählte sie jedem der vielen russischen Verwandten, wobei der Vater dolmetschte.
    »Ja, ja, bis ein frecher Russe daherkommt und dich heiratet. Schwupp, stehst du am Herd und hast sieben Kinder. Und aus ist’s mit der Sängerin. Wie bei deiner Mama. Was, kleines Schwedenmädel«, lachte einer der neuen Onkel und zwickte sie in die Backe.
    Die Mama steht nie am Herd. Und hat auch keine sieben Kinder, dachte Mariana. Allerdings, Sängerin war sie auch nicht. Plötzlich, als ändere das alles, maulte sie: »Schwedenmädel. Ich bin eine halbe Russin.«
    Wie leid es ihr tat, dass sie die Sprache nicht verstand. Der Tonfall, die Laute waren ihr nicht fremd, sie hatte all die russischen Lieder im Ohr. Wenn sie nur auf den Klang achtete, wunderte sie sich, dass sie den Inhalt nicht erfasste. Sie war so begierig, einen Sinn aus dem Gerede zu erhaschen, dass sie unentwegt nachfragte und nachplapperte. Und dann kam der Augenblick, in dem sie plötzlich einen Satz begriff: »Ach, mein Mäuschen, mein Schätzchen, mein Herzchen, du hast doch sicher noch Hunger«, hatte eine Tante gerufen und ihr das dritte Stück Kuchen auf den Teller gehäuft. Mariana hatte ganz entsetzt auf Russisch geantwortet: »Ach nein, danke, liebe Tante. Ich bin satt!« Zunächst hatte es niemand gemerkt, auch Mariana nicht. Aber plötzlich, im Nachhinein, erkannte man das Wunder, sie wurde in tausend Arme gerissen und geherzt, geküsst, bejubelt.
    Von da an gab sie sich wirklich Mühe, und am Ende der Russlandferien konnte sie sich ganz nett unterhalten. Das machte ihr Spaß, nicht nur, weil sie plötzlich die Leute verstand, sondern mehr noch, weil sie ihre Art zu reden, zu gestikulieren annahm. Sie bewegte sich anders, ihre

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