Im Schatten der Vergeltung
erwiderte Maureen diplomatisch. »Selbstverständlich werde ich Ihnen zur Hand gehen, wo ich nur kann.« Sie hatte die richtigen Worte gewählt, um Lady Esther wieder versöhnlich zu stimmen.
Wohlwollend und verzeihend lächelte Esther Linnley und ließ sich von Maureen in die Halle und von dort nach draußen begleiten. Sie hatte bereits in ihrer Kutsche Platz genommen, als sie das Wort nochmals an Maureen richtete.
»Auf Grund deiner lächerlichen Vorstellung, es könnte sich eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen unseren Familien ergeben, habe ich fast vergessen zu erwähnte, dass Bracken Hall einen neuen Besitzer hat. Es handelt sich um einen allein stehenden älteren Herrn. Zwar nicht von Adel, er soll jedoch freundlich und umgänglich sein, und vermögend muss er ebenfalls sein, wenn er den Besitz gekauft hat. Ich überlege, ihn ebenfalls zum Fest einzuladen, obwohl er mir noch nicht die Aufwartung gemacht hat. Man muss sich aber um solche Menschen kümmern, das gebiert schon die Christenpflicht. Ich hoffe, sein Auftreten entspricht unseren Ansprüchen. Nun, vielleicht ist er ...«
Es interessierte Maureen wenig, wer dieser Mann war und wie er sich benahm, aber sie heuchelte Interesse. Lady Esther hatte wie immer in ihrer unnachahmlichen Art abrupt das Thema gewechselt. Maureen hoffte, dass sie sich jetzt nicht weiter über die Nachbarschaft auslassen würde, Lady Esther hatte aber offenbar keine weiteren Neuigkeiten und verabschiedete sich. »Auf Wiedersehen, Kindchen!« Sie schenkte Maureen ein huldvolles Lächeln, nichts erinnerte mehr an ihren vorherigen Zorn.
Ein Diener schloss den Schlag, auf dem das Wappen der Linnleys prangte.
»Auf Wiedersehen, Lady Esther.« Maureen brachte es nicht fertig, Lady Esther für ihren Besuch zu danken. Für heute hatte sie genug geheuchelt. Erst nachdem das Gefährt das steinerne Tor von Trenance Cove passiert hatte, ließ Maureen ihrem Ärger freien Lauf und krauste die Stirn. Ihre Tochter nicht gut genug für die Linnleys? Ha! Es war genau umgekehrt! Frederica war viel zu schade für diesen schmalbrüstigen, bleichgesichtigen George! Auch wenn er zehnmal so reich gewesen wäre – er war das Ebenbild seines schwachen, rückgratlosen Vaters. Es war nicht etwa so, dass Maureen David Linnley nicht mochte, im Gegenteil, sie zog seine Gesellschaft der Lady Esthers vor. Es war allgemein bekannt, dass David Linnley selten eine eigene Meinung hatte oder die gar vertrat. Er richtete sich in allem, was er tat oder sagte, immer nach seiner Frau. Maureen fragte sich oft, wie zwei derart unterschiedliche Menschen hatten heiraten können.
Wahrscheinlich handelte es sich um eine von den jeweiligen Eltern arrangierte Ehe, eine übliche Vorgehensweise in ihren Kreisen. Maureen wünschte zwar eine gute Partie mit finanzieller Sicherheit für ihre Tochter, Frederica sollte in erster Linie aber glücklich werden. Sie und ihr Mann Philipp würden Frederica niemals in eine Ehe mit einem Mann drängen. Frederica sollte selbst entscheiden, wem sie einmal ihre Hand reichen wollte. Darüber hinaus kannte Maureen das eigenwillige Wesen ihrer Tochter, die sich ohnehin zu nichts zwingen lassen würde. In dieser Beziehung war Frederica ihrer Mutter sehr ähnlich. Bereits als Kind war Frederica lebhaft und ungeduldig gewesen, mochte es nicht, sich stundenlang mit einer Aufgabe oder gar Handarbeit still zu beschäftigen, und Maureen hatte ihre Tochter nie zu etwas gezwungen. Sie selbst fand es auch nicht anregend, stundenlang ein Altartuch mit biblischen Motiven zu besticken. Obwohl Maureen ihre Tochter von ganzem Herzen liebte, verschloss sie nicht die Augen vor der Tatsache, dass Frederica gern ihren Willen durchsetzte, was ihr bei ihrem Vater mit schmeichelnden Worten und einem koketten Augenaufschlag auch spielend gelang. Bisher hatte es sich aber nur um belanglose Dinge gehandelt, die einem jungen Mädchen wichtig waren, wie hübsche Kleider oder bunte Haarbänder. Allerdings besaß Frederica einen Charakterzug, der schon in jungen Jahren erkennen ließ, dass sie bei einem schwachen Mann schnell den nötigen Respekt verlieren konnte. Sie brauchte einen Partner, der ihr gewachsen war und ihr die Stirn bot. In Maureens Augen war George Linnley ein solcher Schwächling. Er war gewohnt, von Lady Esther gegängelt zu werden und ging jeder Konfrontation aus dem Weg. Wenn die Zeit der ersten Verliebtheit erst einmal vorbei war – und dieser Zeitpunkt kam in jeder Ehe früher oder später, dass
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