Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
stinkende Ware. Und dann war noch eines der Fässer leck. Wir mussten es umpacken.« Er schüttelte sich. »Nach Verwesung stinkende Schweinedärme in Salzlake. Eine glibberige Masse, wir konnten sie kaum festhalten, immer wieder flutschte sie einem aus der Hand. Bringt aber viel Geld.«
Jetzt wurde Moritz einiges klar. Das also war dieser ekelhafte Geruch im Bretterverschlag gewesen, in dem die beiden Quartiersleute ihre Arbeitskleidung ablegten.
Jan zuckte teilnahmslos mit den Schultern und fischte nach einem Fleischbrocken. »Mich stört es nicht«, sagte er mit vollem Mund, »wer Fleisch isst, muss auch Innereien anfassen können. Das gehört zum Geschäft eines Quartiersmanns.«
»Bei uns zu Hause, bei meinen Eltern, war immer der Sonntag der Fleischtag«, sagte die Mutter leise.
Johann Forck knallte den Löffel auf die Tischplatte. »Hier ist es aber anders: Fleisch gibt es am Sonnabend!« Er verharrte einen Augenblick und horchte seiner Stimme nach. Besänftigend legte er dann die Hand auf den Arm seiner Frau. »Du weißt doch, wie gerne wir sonntags Ausflüge machen. Ich möchte keine Frau haben, die den halben Tag in der Küche stehen muss und hinterher wie ein wandelnder Bratentopf riecht.«
»Was machen wir morgen?«, wollte Jan wissen.
»Vielleicht nehmen wir den Pferdeomnibus und fahren nach Altona ins Dänische. Oder wir wandern durchs Steintor ins Grüne. Und Mutter zieht ihr bestes Kleid an.«
Für einen kurzen Moment leuchteten Herta Forcks Augen, doch dann senkte sie den Kopf und verkrampfte die Hände unter dem Tisch. »Henriette wäre sicher auch gerne mit dem Pferdebus gefahren.«
Mit einem Mal war es still am Tisch. Der Vater faltete die Hände, Moritz senkte den Kopf und selbst Jan, der nicht besonders feinfühlig war, hörte auf zu kauen.
Nach einer angemessenen Zeit des Schweigens räusperte sich der Vater. »Sicher hätte sie es gemocht. Aber jetzt hat sie es einfacher. Engel können ja fliegen.«
Moritz blickte zur Mutter hinüber. Sie schien ihm noch grauer und eingesunkener, als es in der letzten Zeit der Fall gewesen war. Dann erinnerte er sich daran, dass bald der Geburtstag von Henriette sein musste. Nur so kurz gelebt, dachte er, der Tag der Geburt und der Todestag fielen fast zusammen. Es war ihm unbegreiflich, dass ein Kind sterben konnte. Alte Leute, sicherlich, die wurden im Winter oft krank, man hörte sie durch die dünnen Holzwände hindurch husten und keuchen, und dann waren sie irgendwann verschwunden. Aber ein neugeborenes Kind?
Wie hatte sich die Mutter gefreut, dass es diesmal ein Mädchen geworden war. Noch im Wochenbett hatte sie davon geschwärmt, welches Leibchen sie für Henriette nähen wollte und in welcher Farbe. Doch dann wurde das Mädchen immer kleiner, immer weniger, hörte auf zu schreien und lag schließlich ganz weiß und steif im Bett.
Seit diesem Tage schien die Farbe aus dem Leben der Mutter verschwunden zu sein. Ihr Gesicht wirkte müde, ebenso ihr Gang, und die Haare hatten sich recht schnell grau verfärbt. Es war das gleiche Grau wie das ihres Kleides und der Schürze. Moritz stellte sich vor, dass seine Mutter irgendwann einmal vor einem der neuen, grauen Gebäude am Alsterbecken stehen und unmerklich damit verschmelzen würde, ohne dass man erkennen konnte, welcher Teil Mensch und welcher Stein wäre.
Bevor der Klos in seinem Hals noch größer wurde, nahm er schnell noch eine Kelle vom Eintopf.
Nach dem Essen, das schweigsam eingenommen worden war, holte Moritz den Eimer aus dem Bretterverschlag. Der langgezogene Hof, umstanden von altersschwachen Häusern, war erfüllt vom Geklapper der Küchengerätschaften, dem Schreien der Kinder, dem Fluchen der Männer und dem Keifen der Frauen.Beißender Gestank hing in der Luft: vom Unrat in den Ecken und den schlecht abgedeckten Latrinen.
Moritz bewegte den Schwengel der Pumpe so lange auf und nieder, bis ein kräftiger Strahl Wasser kam. Als der Eimer gefüllt war, schleppte er ihn in den dritten Stock hinauf. Während die Mutter das Geschirr im Spülstein reinigte, kniete Moritz vor dem Ofen und leerte den Aschfall. Danach brachte er den Eimer wieder nach unten, durchquerte den Hof und kippte das Wasser in die Rinne in der Mitte der Twiete. Er war dort nicht der Einzige, von überall wurde Wasser ausgekippt, es floss in einem immer kräftiger werdenden Schwall die Gasse hinunter bis ins Fleet.
Auch Jette Jacobsen war da. Breitbeinig und mit nackten Füßen stand sie über der
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