Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
der guten Gesellschaft völlig aus dem Häuschen. Jede ist der Ansicht, dass ihre Tochter die geborene Virtuosin ist. Auch deine Eltern waren bei diesem Konzert.«
»Aber Mutter versteht doch überhaupt nichts von Musik«, empörte sich Alexander.
»Das mag wohl sein. Sie schwärmte auch mehr von der festlichen Stimmung und von der großen Welt, die dieser Mann nach Hamburg gebracht hat. Und natürlich von dem ausgesuchten Publikum und der Garderobe der Damen.«
»Und Papa? Warum ging er hin?«
Der Klabautermann schmunzelte. »Er musste. Anna Louise hatte es befohlen. Aber ich kann mir genau vorstellen, was Caesar gemacht hat. Sicherlich hat er die Zahl der Gäste geschätzt, sie mit dem Eintrittspreis multipliziert, die vermuteten Kosten für die Hausmiete abgezogen und unter dem Strich festgestellt, dass der Beruf eines Klaviervirtuosen ein doch recht ansehnliches Geschäft ist.«
Kapitän Westphalen verschränkte die Hände auf dem Rücken und wippte auf seinen Holzsohlen. »Jedenfalls hat Madame beschlossen, dass Cäcilie eine Klaviervirtuosin werden muss. Ich möchte nicht wissen, wie viel Geld sie schon zu diesem merkwürdigen polnischen Klavierlehrer getragen hat. Ich jedenfalls würde meine Tochter diesem dünnen Mann mit dem wirren Haar und den Spinnenfingern nicht anvertrauen.«
»Cäcilie ist immer in Begleitung ihrer Cousine dort.«
Der Kapitän zog die Uhr aus der Jackentasche und ließ den Deckel aufschnappen. »Hoppla. Höchste Zeit. Ich muss zurück zum Hafen.« An der Treppe wandte er sich noch einmal zu Alexander um. »Ich beneide euch nicht. Ihr werdet noch viel Spaß haben, wenn Cäcilie übt.«
Etwas später am Nachmittag erschien der Klavierstimmer. Das eintönige Klimpern fand Moritz entnervend, Alexander verdrehte die Augen.
»Violine soll schlimmer sein«, sagte der Kontorvorsteher.
Cäcilie übte. Sie spielte recht gut, fand Moritz, besonders die kleinen, lustigen Stücke. Doch im Geheimen musste er sich eingestehen, dass er die Musik vom Leierkastenmann, der mit seinem Äffchen von Zeit zu Zeit in ihren Hof kam, schöner fand. Dem konnte man ein paar Groschen, in Papier eingewickelt, aus dem Fenster zuwerfen. Das Äffchen sammelte das Geld ein und zeigte die Zähne, der Mann lüftete würdevoll seinen Zylinder. Das geht bei Cäcilie nicht, dachte Moritz, ich müsste die Groschen in das dritte Obergeschoss hinaufwerfen, und sicherlich trägt sie keinen Zylinder, wenn sie Klavier spielt.
Nachdem Harms und Alexander Feierabend gemacht hatten, stürmte eine strahlende und aufgeregte Cäcilie ins Kontor.
»Hast du mich gehört? War das gut? Habe ich schön gespielt?«
Moritz dachte an den Leierkastenmann und daran, dass er Cäcilie nicht dafür tadeln konnte, dass sie keinen Affen hatte. »Es war sehr gut. Ich finde, dass du schön spielst.«
Cäcilie lächelte geschmeichelt. »Als nächstes werde ich ein Liebeslied einüben. Vielleicht Für Elise . Das werde ich dann nur für dich spielen.«
»Tatsächlich?«
»Ja, sicher. Du kannst dann stolz auf dich sein, denn ich habe noch nie für einen Mann ein Liebeslied eingeübt.«
»Ich werde ganz genau hinhören. Du solltest es aber nur spielen, wenn deine Eltern nicht zu Hause sind.«
Cäcilie lachte, warf ihm einen Handkuss zu, raffte die Röcke und rannte die Treppe hoch.
Kurz darauf wurde Moritz zu Madame gerufen. Das Hausmädchen führte ihn in den Salon. Madame saß am Sekretär und schrieb, Moritz wartete. Schließlich drehte sich Anna Louise Schröder um und musterte ihn streng. Oh je, dachte er, sie weiß etwas über mich und Cäcilie, jetzt gibt’s Ärger.
Doch es gab keinen Ärger, noch nicht. Madame umrundete Moritz und musterte seine Kleidung.
»Der Schneider hat gut gearbeitet«, sagte sie schließlich mit Anerkennung in der Stimme.
Sie setzte sich auf die Chaiselonge und klopfte auffordernd auf das Polster neben sich. Moritz setzte sich ganz vorn an die Kante und so weit von Madame entfernt, wie die Couch es zuließ.
»Ich möchte mit dir über dieses Mädchen sprechen, das eine Stelle sucht. Ich muss herausfinden, in welchen Haushalt sie passen könnte.«
Moritz entspannte sich etwas und rutschte ein Stück weit nach hinten.
»Wie ist ihr Name?«
»Jette Jacobsen.«
»Wie alt ist sie?«
»Sie wird im nächsten Monat vierzehn.«
Madame glättete eine Falte ihres Kleides. »Ein bisschen jung. Aber sie könnte unter der Anleitung einer Hauswirtschafterin arbeiten.«
Moritz nestelte an den Knöpfen seines
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