Geraeuschkiller - Mutige Liebe
Im Käfig
»Wenn dir
nachts im Tierpark unheimlich wird«, sagte Anton, »da ist der Schlüssel von der
Pforte hinter dem Affenhaus.
Clara
betrachtete den Schlüssel in ihrer Hand: Er war altmodisch, mit einem
angerosteten Bart.
Es war so weit.
Anton, der Tierpfleger, erlaubte ihr, die Nacht im Tierpark zu verbringen. Endlich.
Sie konnte es kaum glauben. Wie lange hatte sie sich das gewünscht, wie oft
darum gebettelt. Wie oft hatte sie Anton beim Ausmisten der Käfige, bei der
Fütterung der Tiere geholfen, erfüllt von dem Wunsch, als Belohnung einmal hier
übernachten zu dürfen.
»Hörst du
mir überhaupt zu?« Antons Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
»Ja, ich
weiß«, sagte sie und schloss die Hand fester um den Schlüssel. »Du hast mir die
Pforte oft gezeigt. Auch im Dunkeln. Ich kenne den Weg.«
»Nachts
sieht aber alles anders aus, Clara.« Irgendwie war es Anton doch nicht wohl bei
der Vorstellung, das Mädchen allein im Zoo zu lassen. Nur ihren Freund Pedro,
der mit ihr in die Klasse ging, wollte sie dabei haben.
Ich bin schwach geworden unter ihren hartnäckigen Bitten, dachte er. Mein
Geschenk zu ihrem dreizehnten Geburtstag sollte es sein. Das habe ich jetzt
davon.
Claras
freudestrahlendes Lächeln mit der pfiffigen kleinen Spalte zwischen den beiden
Schneidezähnen beruhigte ihn ein wenig. »Die Nacht hat ihre eigenen Gesetze,
Clara, besonders wenn es, wie in unserem Zoo, keine künstliche Beleuchtung
gibt.«
»Anton,
das haben wir doch alles schon besprochen!«
Er
nickte, ja, das stimmte, und er konnte dem Mädchen vertrauen, das wusste er.
Clara Maiwald kannte sich so gut mit den Tieren aus wie kaum jemand. Sie hatte
das Zeug zur Tierärztin. Ein sehr eigenwilliges Persönchen war sie außerdem,
ein Wildfang, auch deswegen hatte er sie ins Herz geschlossen.
Er seufzte.
»Bei der Pforte kommst du raus auf die Zoostraße. Du hältst dich rechts, und
die erste Straße links, gleich ums Eck – da ist mein Haus.«
»Ich war
doch schon hundert Mal bei dir, Anton!«
»Du kannst
jederzeit kommen. Ich werde nicht schlafen. Ich lass das Licht brennen. Und ruf
mich an, wenn was ist, okay?«
»Mach ich.«
»Hast du
meine Handynummer?«
»Ich kenne
sie auswendig, Anton! Und außerdem habe ich sie gespeichert.«
»Da kommst du
ja endlich, Pedro! Wo bleibst du denn? Ich habe schon fast gedacht, du
kneifst!«
Pedro hatte
glühende Wangen vom Laufen, seine dichten schwarzen Locken quollen unter der
Basecap hervor. Er war ganz außer Atem.
»Ich hab
schon geglaubt, ich schaff es nicht! Mitch hat sich einen Dorn in die Pfote
getreten. Ich bin noch mit ihm zum Tierarzt.«
Das waren
viele Worte aus Pedros Mund. Er redete sonst wenig.
»Jetzt bist
du ja da«, sagte Clara und gab ihm einen liebevollen Stups. Er brannte wie sie vor
Aufregung.
»Hab doch
gewusst, dass du Clara nicht im Stich lässt«, sagte Anton. »Hast du die
Taschenlampe dabei?«
Clara
nickte. „Ja, in meinem Beutel.« Sie klopfte auf den braunen Lederbeutel, den
sie um die Schulter trug. »Also, macht mir keinen Unsinn, Kinder, okay? Ich
verlass mich auf euch.« Das klang zuversichtlicher, als ihm zumute war. Er
zögerte zu gehen.
»Anton, ich
kenne den Tierpark wie meine Hosentasche!«, sagte Clara.»Ich kenne alle Tiere,
und sie kennen mich. Du hast mir doch alles gezeigt. Du brauchst dir keine
Sorgen zu machen!«
Sie hat Recht,
dachte er. Eigentlich konnte nicht viel passieren. Sogar Claras Mutter Anna
hatte den Bitten ihrer Tochter nachgegeben.
»Passt auf
euch auf.« Er drückte ihnen fest die Hand, seufzte wieder und ging. Vor der
Wegbiegung drehte er sich um und winkte.
»Bis
morgen!«, riefen sie ihm zu. Eine Weile hörten sie noch in der Ferne Antons
Schritte. Dann verhallten sie ganz.
Sie waren
allein.
»Schau, da
ist der Schlüssel!« Bleigrau schimmerte er auf Claras Hand. Viele kleine
Kratzer überzogen ihn. Wie oft mochte er sich schon im Schloss zum Tierpark
gedreht haben? Ganz warm fühlte er sich an.
»Ich hab
nicht geglaubt, dass er ihn uns gibt«, sagte Pedro.
Clara
nickte und schob den Schlüssel behutsam in ihren Lederbeutel. Vom Affenhaus
klangen das Keckern der Affen und das Krächzen der Papageien herüber.
Sie
lauschten.
»Hörst
du’s? Es klingt anders, wenn kein Mensch mehr im Zoo ist«, flüsterte Clara.
»Ich hab’s gewusst!« Ihre Augen leuchteten.
Pedro wurde
es immer ein bisschen schwindlig, wenn er ihr
in die Augen schaute. Sie schillerten blau, wenn sie
sich freute, wie jetzt,
Weitere Kostenlose Bücher