Im Schatten des Pferdemondes
die Lektion heute Abend nicht abbrechen. Was wir mit Eric – mit Mr. Gustavson – zu besprechen haben, hat auch bis morgen Zeit.«
»Aber wo sie doch gerade zurückgekommen ist – ich dachte, Eric sollte sie so bald wie möglich –«
»Sir Simon«, Emily Fargus sah ihm direkt in die Augen, »Sir Simon, ich denke, dieser junge Mann hier hat recht. Er muß mit dem Hengst heute Abend arbeiten, besonders, nachdem diese Störung eingetreten ist, durch uns.« Sie hob den Kopf, blickte zu Eric auf: »Wenn wir nur am Zaun stehen, denken Sie, daß Sie dann mit ihm arbeiten können?«
»Ich denke schon, Madam.«
»Gut. Dann wollen wir uns zurückziehen und Ihnen zuschauen. Es interessiert mich, wie Sie mit... nun ja, gestörten Pferden arbeiten.«
Eric haßte Prüfungen, er hatte Erfahrung damit: »Und die Dosis für ein Schwein? Für ein Schaf? Für ein Rind? Und für eine Katze?« – »Sagen Sie mir doch einmal, was Sie tun würden, wenn ein Rind nach wilden Zuckungen still und starr, aber noch lebend auf der Weide liegt. Welche Diagnose würden Sie stellen, und wie würden Sie das Tier behandeln?«
Eric schüttelte die Erinnerungen ab. Die Ängste, die er vor und während einer Prüfung ausgestanden hatte, hatten aber auch ihr Gutes gehabt: sie hatten seine Sensibilität für die Ängste anderer erhöht – nur was man selbst erfahren und erlebt hat, kann man in anderen vollständig nachvollziehen, und diese Fähigkeit ist besonders hilfreich, wenn sich die anderen nicht durch Worte ausdrücken können, sondern nur durch ihr Verhalten, wie die Tiere.
Er beobachtete, wie Emily Fargus und Sir Simon Seite an Seite über den schweren Sand gingen, schließlich den Bohlenzaun erreichten, der die Reitbahn umgrenzte, und die Unterarme auf die oberste Stange stützten. Er lehnte sich leicht im Sattel vor. »Das war haarig, aber wir machen das schon. Die beiden werden eine hübsche Vorstellung kriegen. Vergiß sie ganz einfach. Ich bin ja da.« Ein leichter Schenkeldruck, und der Hengst setzte sich in Bewegung. Zuerst ritt Eric ihn in einem kleinen Kreis, in sicherer Entfernung von den Zuschauern, aber allmählich weitete er den Durchmesser des Kreises aus, sprach auf den Hengst ein und beruhigte ihn, bis er die Gestalten jenseits der Reitbahn kaum mehr beachtete, und dann ließ er ihn zunächst, versuchshalber, eine Volte traben, die gut gelang, wechselte darauf von Mitteltrab in gestreckten Trab, und das Pferd war geschmeidig und konzentriert unter ihm. Er nahm die Zügel auf und legte die Schenkel fester an das Pferd, und aus leicht scheinendem fließenden Trab vollzog sich mühelos die Wandlung zu den kurzen, hohen, anmutigen Bewegungen einer Piaffe, in der das Pferd unter sich tritt, gesammelt, ganz auf den Wunsch des Reiters eingestellt.
»Schön.« Eric brauchte nicht nach den beiden Gestalten da am Zaun zu blicken, um ihrer Anerkennung, ja ihrer Bewunderung sicher zu sein. »Und jetzt werden wir noch ein kleines Extra dazugeben«, murmelte er, lenkte Lance in die Mitte der Reitbahn, verlagerte sein Gewicht, es schien, als spiele er mit den Zügeln, und der Hengst hob sich scheinbar schwerelos in eine vollendete Levade und verharrte in dieser gesammelten Position sekundenlang unter seinem Reiter, bis dieser die Zügel freigab, gleichzeitig die Schenkel fester nahm – und aus der graziösen Levade wurde eine kriegerisch anmutende Kapriole.
Eric hörte ein leises Luftschnappen vom Zaun her. Die Kapriole gilt als die schwierigste Übung der Hohen Schule. Formvollendet springen sie nur speziell für den Dressursport gezüchtete Pferde, die über lange Jahre sorgfältig geschult worden sind. Etwa im zwanzigsten Lebensjahr ist ein Lippizaner, der Inbegriff der Hohen Schule, in der Lage, diese Übung zu vollbringen. Sir Lancelot war erst neun Jahre alt, er war ein hochgezüchtetes Englisches Vollblut, und er stellte alle anderen in den Schatten. Er war ein Naturtalent, wie es vielleicht einmal in hundert Jahren geboren wird.
»Wunderbar, mein Sohn, wunderbar hast du das gemacht – wunderbar, und das vor Fremden! Vielleicht gar nicht schlecht, daß sie da sind, da gewöhnst du dich gleich wieder ein bißchen an Zuschauer – na, haben dir diese beiden da drüben was getan? – Haben sie nicht. Du hattest keine Angst vor ihnen, mußtest du ja auch wirklich nicht. Und so wie die da – so sind eigentlich alle, die zusehen. Das wirst du lernen
– wieder lernen –, wenn du vor großem Publikum arbeitest.«
Der Hengst schnaubte.
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