Im Schatten des Pferdemondes
daß man sie erst zu sehen kriegte, wenn einem ein Gläschen angeboten wurde. Turner hatte einen Adelstitel und ein gewaltiges Vermögen geerbt und sein Herz und seine schier unbeschränkten Mittel dem Pferdesport verschrieben. Und dieser Turner brauste nun auf seinen Hof und benahm sich wie einer, der von Pferden nicht die leiseste Ahnung hat.
Turner räusperte sich. Offenbar war er hin und her gerissen zwischen dem Ärger über die unverhohlene Kritik seines Angestellten und tiefer Zerknirschtheit. Erics Blick verharrte auf den fliederfarbenen Feuchtigkeitsschatten hinter den nahen Hügeln, und seine Hand strich leicht über den Nacken des Pferdes.
Turner und Eric kannten einander seit Erics frühen Schultagen; damals hatte er angefangen, mit Turners Pferden zu arbeiten. Diese Arbeit hatte ihm sein Studium finanziert, und etliche von Turners hochgespannten Vollblütern hatte er zu sanfteren Zeitgenossen gemacht. Sie schuldeten einander nichts.
»Verdammt!« stieß Turner plötzlich hervor, »tut mir leid, ich war so ... na ja, sozusagen, ich war ein bißchen aufgeregt.« Sein Begleiter sagte: »Vielleicht sollten Sie uns vorstellen, Sir Simon. Dann würden wir vielleicht eher zu der Angelegenheit kommen, um die es geht.«
Eric war erstaunt. Das war die weiche, warme und doch bestimmte Stimme einer Frau! Was er für einen jungen Mann gehalten hatte, entpuppte sich als eine Frau mittleren Alters, die ihr Haar unter ihrer Sportkappe verbarg und die Linien auf der Stirn, um Mund und Augen hatte. Das Knabenhafte ihrer Figur hatte ihn getäuscht.
Sofort saß er ab, zog seine Handschuhe aus und streckte ihr die Rechte entgegen: »Verzeihen Sie meine Unaufmerksamkeit, Madam, ich hielt Sie ... nun, hm, mein Name ist Eric. Eric Gustavson.«
»Gustavson«, murmelte sie, ergriff seine Hand, drückte sie leicht und lächelte ihn an. Ihm fiel auf, wie schön ihre Augen in dem feinen, dichten Netz der Krähenfüße waren, »ich bin Emily Fargus.«
Eric unterdrückte einen Pfiff: Fargus! Die Familie Fargus war bekannt für ihre Pferdezucht.
»Gustavson«, sagte Emily Fargus. »Das ist wohl ein schwedischer Name?«
»Meine Familie stammt aus Norwegen, Madam.« So hatte man es ihm erzählt. Er hatte seine Eltern nie kennengelernt.
»Norwegen? Ist es schön da?«
Eric errötete. »Ich weiß nicht, Madam. Ich war nie dort. Ich bin hier geboren.«
»So? Da haben wir ja eine Gemeinsamkeit, da wir beide es nicht kennen. Norwegen bedeutet für mich Mitternachtssonne, die Wikinger und kühles Wetter – und Ibsen. Kennen Sie Ibsen?«
»Ja, Madam, ein wenig. >Nora< habe ich gelesen.«
»Und?«
»Ich – ich fand es beklemmend, Madam. Ich legte es weg, und dann nahm ich es noch einmal vor. Und ich ...« Er wurde verlegen, wandte sich dem Hengst zu und verkürzte den Steigbügel, den er nachher nur wieder in das Loch stecken würde, das zu seinen langen Beinen paßte. Er wollte jetzt nicht über Bücher sprechen. Und schon gar nicht über die Bücher, die er las, wenn er beschlossen hatte, daß die Arbeit für den Tag nun erledigt war, und er eines dieser altmodischen Bücher vorkramte. Das ging niemanden etwas an.
Lance war verkrampft, wie immer, wenn Fremde in der Nähe waren, und stärker noch als Eric spürte das Pferd, daß diese beiden eine Spannung mitgebracht hatten. Als er den Steigbügelriemen regulierte, sah Eric, daß der Hengst in seiner Haut kleiner zu werden schien – genau wie ein Pferd, das im nächsten Augenblick gezielt, mit der Absicht zu verletzen, ausschlagen wird.
»Zum Teufel!« polterte Turner plötzlich los, so ganz gegen seine sonstige Art, »was, stehen wir hier rum und reden über Bücher! Es geht doch um was ganz anderes!«
Die laute Stimme war zuviel für Sir Lancelot: Ausschlagen konnte er nicht, denn Eric, den er auf keinen Fall verletzen wollte, war zu nahe. Doch er stieg hoch mit einem wilden Schnauben, starren Augen und weiten, blutroten Nüstern, und im Aufbäumen warf er sich herum, um zu fliehen. Der Schrecken ergriff wieder von ihm Besitz. Menschengesichter, wahrgenommen als helle Flecken, laute Stimmen, drängende Stimmen – er war wieder auf dem Turnierplatz inmitten der aufgebrachten Menge.
Eric hielt den Zügel in der Hand und reagierte beinahe noch schneller als das Pferd. Als es stieg, hielt er den Zügel fest, der ihm die Rechte zerschnitt, und als die Vorderhufe sich nach dem Aufbäumen tief in den schweren Boden gruben, zog er sich blitzschnell in den Sattel, beruhigte das Tier mit seiner
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