Im Schatten des Ringes
in jeder Zwienacht vom einen Ende der Himmelsbrücke zum anderen.“
„Und wie?“ Seine Augen zwinkerten, denn er glaubte nun, er hätte mich in die Enge getrieben. Ich konnte schlecht behaupten, daß die Weigerung eines Gottes, jede Nacht sein Feuer abzuschirmen oder gar zu löschen, eine nutzlose Geste war, und dann gleichzeitig erklären, daß er jede Nacht mit einem Gefäß mit glühenden Kohlen auf den Schultern über die Himmelsbrücke wandert, ohne auch zu erkennen, daß eine solche Aktion nicht weniger sinnlos war.
Ich schaute mich wachsam um. Auch wenn wir uns immer noch innerhalb der Katakomben befanden, näherten wir uns schon den stärker frequentierten Räumlichkeiten des Tempels. Allerdings sah und hörte ich niemanden. Ich flüsterte: „Die Welt bewegt sich; das Feuer steht still.“
„Die Welt …?“ Für einen Moment starrte er mich ungläubig an. Dann warf er den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus. „Eine Sache habe ich im Laufe meines Lebens gelernt, meine kleine junge Pfadfinderin, nämlich, daß man, wenn es für ein Problem zwei verschiedene Lösungen gibt, stets die einfachere wählen soll. Flammenhüter deckt das Feuer zu, basta.“
Meine Augen brannten bei seinem Gelächter. „Vor allem anderen hasse ich es, nicht ernstgenommen zu werden „, erklärte ich mit Nachdruck. „Ich bin eine Akademerin und eine Kartographin, weil ich eine gewisse Begabung bewiesen habe im Erkennen der Landstrukturen, der jeweiligen Windrichtung und der Erdbewegungen.“
„Ich nehme dich ernst, Heao“, sagte er, wobei er durch meine arrogante Art nicht verletzt schien, „allein schon wegen deines Traums.“
Leicht besänftigt, lächelte ich. „Ich habe Euch noch nicht dafür gedankt, daß Ihr mir den Traum gelassen habt.“
„Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Zugegeben, ich finde dich sehr nett und reizvoll, aber dieses Gefühl könnte auch nur aus meinem Interesse für deinen Traum entspringen. Solange ich ihn nicht gesehen habe, kann ich weiterhin hoffen, daß er meinen auslöscht.“
Ich begriff seine Logik. „Nichtsdestoweniger bin ich Euch dankbar.“
„Würdest du es sehr übelnehmen, wenn ich dir sage, daß ich immer noch mit dir das Beilager aufsuchen möchte, wenn du erst einmal das volle Alter erreicht hast?“
„Ich bin alt genug – und nein. Ich würde es Euch nicht übelnehmen und auch nicht mißverstehen. Aber ich muß gleichzeitig hinzufügen, daß ich in Beilagerangelegenheiten völlig unbewandert bin und daß ich kaum glaube, selbst Vergnügen zu haben oder einem so erfahrenen Mann wie Euch Vergnügen zu bereiten.“
„Eine erfolglose Paarung würde mich enttäuschen“, sagte er, „denn ich fühle mich von dir wie verhext.“ Er lächelte sehr zärtlich und streichelte meinen Schwanz mit dem seinen, und für einen Moment dachte ich schon, er würde mich in die erwähnten Geheimnisse einweihen. Statt dessen meinte er abschließend: „Vielleicht werde ich dich irgendwann in der Zukunft noch mal fragen.“
„Vielleicht antworte ich dann mit Ja.“
11
Die Festung des Erobererkönigs in der Nähe des Tempels nahm allmählich Gestalt an. Die Struktur war klar gegliedert und erhaben. Die Fassadensteine, sorgfältig mit einem gleichmäßigen Grauton ausgesucht, schienen die Beschaffenheit des Nebels zu haben. Zum frühestmöglichen Zeitpunkt zogen der Erobererkönig und sein Gefolge dort ein.
Dann schliefen die Frühlingswinde ein. Die Luft wurde still. Nebel entstanden über dem Meer, stiegen auf und krochen schließlich über die Felsenkette, die das Tafelland eingrenzte, und bedeckten die Stadt. Fackeln brannten auf den hohen Brustwehren der Festung und umgaben sie mit einem gespenstischen Schein. Kurz bevor die Winterstürme aufkamen, verließ der König uns und verschwand wieder ins Tiefland und überließ uns dem harten Winter.
Als er im darauffolgenden Jahr zurückkam, befanden sich noch mehr Tiefländler in seiner Begleitung, und in der Stadt brach wieder die Hektik aus, die er um sich verbreitete. Im Mittsommer erfüllte ich erfreut die Bitte Baltsars, ihn und Teon zu einem Fjord zu führen, den ich ihm einmal beschrieben hatte. Er suchte nach einem günstigen Seehafen in der Nähe der Stadt und hoffte gleichzeitig, damit auch eine Seeroute vom Tiefland zum Tafelland zu eröffnen. Ich hätte ihn sogar ins Immernachtgebirge geführt, wenn ich dadurch den hektischen Massen für einige Zeit entfliehen konnte.
Die
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