Im Schatten des Ringes
bist die Pfadfinderin“, meinte sie anklagend.
„So nennt man mich“, gab ich zu und spürte, wie mein Nackenpelz sich aufplusterte, obwohl ich das nicht zulassen wollte. Ihre Feindseligkeit war völlig unerwartet, und meine Reaktion spiegelte das wider.
Tarana schauderte genauso wie kurz vorher, als sie das Ätherbrennen beobachtet hatte. „So, es hat also schon angefangen.“
Nichts deutete im Verhalten der Mitreisenden auf irgendwelche Aufbruchsabsichten hin. „Was hat angefangen?“ erkundigte ich mich.
Die Spitze ihres Schwanzes zuckte heftig. Sie hatte ihre Krallen entblößt und fletschte die Zähne. Zum erstenmal in meinem Leben dankte ich den Göttern, daß unsere Religionsgemeinschaft mit einem furchtbaren Fluch belegt würde, falls wir menschliches Blut vergossen. Ich glaube, daß sie sich bei individueller Strafe wahrscheinlich auf mich gestürzt und mir den Hals mit ihren Klauen aufgerissen hätte. Mein eigener Schwanz zitterte, als wollte er sagen: Komm nur her, wenn du dich traust.
Dann sammelte sie sich wieder und sagte: „Du schwebst in großer Gefahr, Pfadfinderin. Ich habe im Traum dein Gesicht gesehen, als du den Fluch der Götter in unser Reich brachtest.“ Sie berührte den Fetisch des Flammenhüters, der vor ihrer Brust hing, und spielte nervös damit. „Du mußt dich dem Tempel überantworten. Dann können wir wahrscheinlich das Böse von dir abwenden, das dich anderenfalls heimsuchen wird.“ Ihre Stimme war so herablassend wie ihre Worte. In ihren Augen lag eine Selbstgerechtigkeit, die bei erfahrenen Hüterinnen seltsam wirkte.
„Wenn ich in Euerm Traum auftauche, Tarana, dann war es so bestimmt. Aber ich glaube, Ihr habt mich mit jemand anderem verwechselt. Ihr seid nicht in meinem Traum.“
Ich hob meinen Packen hoch, doch als ich mich anschickte, fortzugehen, hörte ich sie erstickt aufkeuchen, dann spürte ich, wie sich ihre Krallen in meine Schultern bohrten. „Welcher Traum?“ wollte sie wissen.
Anstatt auf sie wütend zu sein, war ich eher überrascht zu erfahren, daß sie offensichtlich Angst hatte und diese unverhüllt zeigte. Ruhig löste ich mich aus ihrem Griff. „Mein Traum ist ganz persönlich“, beschied ich sie.
„Verbinde deinen Traum mit meinem!“ forderte sie, wobei sie jedoch bei ihrem eigenen Wunsch deutlich erschrak.
Ich schüttelte den Kopf und entfernte mich. Der vordere Teil meines Gehirns kommunizierte mit dem hinteren Teil, ehe ich auch nur drei Schritte gemacht hatte. Die Tempelhüter, die ich bisher kennengelernt hatte, waren durchweg disziplinierte Leute, deren Emotionen nur sehr schwer zu deuten waren. Sie setzten meistens ziemlich unnatürliche Mienen auf, so daß sich die Gemeinde der Gläubigen in einem immerwährenden Zustand der Verwirrung und Ratlosigkeit befand, was die wahren Intentionen religiöser Worte und Riten anbetraf. Taranas Bosheit war jedoch offen hervorgebrochen … etwa mit einer bestimmten Absicht? Ich überlegte. War es möglich, daß sie für einen Moment die Kontrolle über sich verloren hatte? Immerhin waren auch die Hüter durchweg Menschen, und unter entsprechender Belastung mußte irgendwann jede Fassade einmal nachgeben und Risse zeigen. Ich wollte es mir selbst gegenüber nicht eingestehen, daß ich, eine Bürgerin vom Lande und mit wenig Einfluß ausgestattet, eine Tempelhüterin soweit bedrängen konnte, daß sie ihre Selbstbeherrschung verlor. Doch der vordere Teil meines Gehirns bedachte die Träume – meinen, ihren, den des Königs –, und ich stöhnte verhalten auf. Der hintere Bereich meines Gehirns wollte einfach nicht glauben, daß mein heller Traum, der mich mit Freude und glückseliger Erwartung erfüllte, mit den düsteren und trübsinnigen Träumen verschmolzen werden könnte, die Baltsar mir beschrieben hatte.
Jemand berührte mich am Arm. „Was ist passiert?“ Baltsar zeigte verstohlen auf Tarana, die mich immer noch wütend anfunkelte. Um uns herum bemerkte ich einige neugierige Blicke, die man uns zuwarf.
Ich setzte meinen Weg fort und gab dabei Baltsar flüsternd Antwort. „Sie will, daß ich meinen Traum mit ihrem verbinde.“
Baltsar atmete zischend ein. „Und was hast du erwidert?“
„Ich habe abgelehnt.“
„Aber ihr Traum ist mit dem des Königs verbunden. Er stünde dann in deiner Schuld.“
„Ich habe meinen Traum. Ich brauche keinen König, der mir etwas schuldet.“
„Du bist eine starrköpfige Frau, Heao, und vielleicht sogar eine sehr dumme dazu. Eine solche
Weitere Kostenlose Bücher