Im Schatten des Ringes
helfen?“ fragte ich.
Er nahm sie und studierte sie. „Diese Karte scheint noch nicht fertig zu sein“, stellte er kritisch fest.
„Ist sie auch nicht, aber ich könnte Euch ein fertiges Exemplar liefern, ehe ich das Tiefland wieder verlasse.“
„Mit einem Randfries aus Pilzen oder Streitäxten, was immer dir einfällt.“ Er lächelte schwach.
„Wie Ihr wünscht“, entgegnete ich, ebenfalls lächelnd.
„Ja, das würde mir gefallen.“ Er blickte mich über die Karte hinweg an. „Ich bin gespannt, ob du auf dem Beilager genauso erfindungsreich bist wie mit deinem Zeichenstift.“
Ich legte die Ohren an, als der vordere Teil meines Gehirns mit dem hinteren Teil einen heftigen Streit ausfocht. Einem geilen alten Krieger mit einer obszönen Geste zu antworten, wäre hier mindestens ebenso befriedigend für mich wie zu Hause, doch sollte ich meinen verstorbenen König in einer solchen Weise verletzen? Das war nicht zu entscheiden. Eine solche Frage wurde durch die an diesem Hof üblichen Formalitäten von vornherein ausgeschlossen. Das Ich hinter meinen Augen betrachtete den Schwanz des Königs auf der Suche nach einem Zeichen, einem Hinweis, doch er blieb regungslos. Das innere Ich schrie vor Enttäuschung auf. Mit einem falschen Wort könnte ich Rellars Absichten scheitern lassen und ihn und Akadem der Willkür des Erobererkönigs überantworten. Vielleicht tobte er seine Wut in der ganzen Provinz aus! Wer wußte schon, wie unberechenbar ein König reagieren konnte? Oder ich könnte mich entehren, was meine edlen Gefährten ebenfalls in Mißkredit bringen würde …
„Pardon, Sire“, sagte Baltsar ruhig, „aber die Frau ist noch minderjährig.“
Die Augen des Erobererkönigs weiteten sich. „Meinen die etwa, ich würde hier unten irgendwelche Kinderspielchen veranstalten?“ Er knallte die Landkarte auf den Tisch und warf dabei eine Schale Nektar um.
Ein betretenes Schweigen machte sich im Raum breit, und ich fühlte geradezu, wie die Augen aller auf mich gerichtet waren. „Wenn man angenommen hätte, Ihr würdet hier unten spielen, dann hätte man Euch eher eine Kurtisane geschickt und keine Landkarte.“
Ich spürte Baltsars Hand auf meiner Schulter, fühlte, wie seine Finger mich mit sanftem Druck warnten. Als ich aufschaute, erkannte ich, daß das allgemeine Schweigen im Saal nicht dem Wutausbruch des Königs galt, sondern einer eintretenden Tempelhüterin. Ihre Blicke waren auf mich gerichtet, brannten Löcher in meine Stirn als Strafe dafür, daß ich ihre Eintrittszeremonie verdorben hatte. Ich erkannte sie als die Hüterin, die das unter Drogen stehende Kind gequält hatte.
„Tarana“, sagte der König.
Ich haßte religiösen Pomp. Ich schenkte ihm so wenig Beachtung wie möglich, und hier in den Räumen des Königs dachte ich nicht anders darüber. Doch er, der mächtige Erobererkönig, der eine Horde Krieger aus einem fernen Dorf hierhergeführt hatte, um in drei Vierteln der bekannten Welt Blut zu vergießen, erhob sich und starrte die Tempelhüterin mit demütiger Schwanzhaltung an. Er führte sie zu wertvollen Sitzpolstern an der Feuerstelle, und die Krieger teilten sich wie die Brandung an den Felsen der Steilküste, um den Weg freizugeben.
„Die könnt Ihr auch gleich mit einplanen“, flüsterte ein Krieger Baltsar zu. „Sie wird den Tempel für die Ankunft des Königs herrichten wollen.“
Baltsar nickte ergeben. Eine Hüterin konnte er nicht dazu bewegen, weiterzuwandern, wenn sie keine Lust mehr hatte – oder ärgerte er sich, weil ihre Anwesenheit während der Reise uns am Spielen hinderte? Ich lächelte ihn an, und er erwiderte mein Lächeln schicksalsergeben und zugleich spöttisch.
6
Als wir von der Festung des Königs zu unserem Lager zurückkehrten, mußten wir auch den Marktplatz überqueren. Als Baltsar bemerkte, wie ich meinen Hals verrenkte, um verschiedene Düfte einzufangen und einen Blick auf die zahlreichen Verkaufsstände mit allerlei Köstlichkeiten zu werfen, entschied er, daß er Hunger hatte. Er erstand eine Portion dampfender Schnecken und Süßspeisen mit Minzearoma und teilte sie mit mir.
„Der König vermittelte mir den Eindruck, als sei das Land bar jeden Luxus“, meinte ich, nachdem ich den letzten Bissen vertilgt hatte.
„Es kommt ganz darauf an, was du unter Luxus verstehst“, sagte Baltsar. „In der Stadt fehlt es nicht an Lebensmitteln, und es gibt dort auch mehrere Hurenhäuser. Die Befriedigung physischer Bedürfnisse ist
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