Im Schloss der schlafenden Vampire
beim Tee saßen.
„Seit 50 Millionen Jahren gibt es Fledermäuse. Aber leider stehen inzwischen
alle in Deutschland heimischen Arten — insgesamt 22 — auf der Roten Liste, sind
also akut bedroht. Deshalb muss man was tun für die Hufeisennasen, für die
Zweifarb- und die Rauhhautfledermaus — und wie sie alle heißen. Der Dachboden
hier ist ein großer dunkler Raum. Dort hat man im Frühsommer die Fledermäuse
entdeckt. Ein ideales Quartier, nämlich dunkel, still und genügend feucht auch
— damit die Flughäute nicht austrocknen. Dort haben die Tiere offensichtlich
seit Herbst überwintert. Die Männchen sind Einzelgänger, aber die Weibchen
schließen sich zu Gruppen zusammen, beziehen ihre Wochenstuben und bringen dort
die Jungen zur Welt. Das Ganze ist dann eine Kolonie und kann mehr als 100
Tiere umfassen. Sie hängen — wie du weißt — mit dem Kopf nach unten, schlafen
tagsüber, sind nachtaktiv, jagen dann nach Insekten. Ich konnte beobachten, wie
eine Fledermausmutter sofort auf den Hilferuf ihres Jungtiers reagiert — falls
das in Not ist, zum Beispiel runterfällt. Es wird dann hochgeholt und betreut.
Dieses Festkrallen an Holzdecken und Balken ist übrigens ein angeborener
Automatismus und geschieht ohne Muskelaufwand. Wenn ich die Tiere im dunklen
Dachboden beobachte, arbeite ich immer mit einer Rotlichtlampe. Dieses Licht
wird nicht wahrgenommen von ihnen — im Gegensatz zu Weißlicht. Berühren sollte
man die Tierchen nicht. Sie sind übrigens recht furchtlos und — neugierig.“
„Kriege ich das alles noch
schriftlich?“, fragte Gaby über den Rand ihrer Teetasse.
„Kriegst du. Schmeckt der
Darjeeling?“
„Köstlich. Wie alt werden
Fledermäuse?“
„Im Durchschnitt 20 —
Hufeisennasen erreichen sogar 27 Jahre.“
„Und die Weibchen bringen pro
Jahr ein Junges zur Welt?“
„Ein Junges. Die Paarung ist
übrigens im Herbst. Aber die Befruchtung erst im Frühjahr. Das heißt, den
Winter über ruht das Sperma im Weibchen. Ein Wunder der Natur, denn im Herbst
geborene Jungtiere hätten bei der winterschlafenden Mutter keine
Überlebenschance.“
„Toll!“, lachte Gaby. „Und wie
gut, dass menschliche Mütter den Winter nicht verpennen, obschon viele in der
warmen Jahreszeit besser drauf sind. Vorläufig letzte Frage, Julia: Welcher
bestimmte wissenschaftliche Auftrag hat dich hier ins Schloss gebracht?“
„Da gab es anfangs buchstäblich
ein Rätsel. Nämlich: Wie sind die Tiere auf den Dachboden gelangt und wie
finden sie jetzt — und das schon seit Frühjahr — wieder hinaus am Abend, um
nachts Nahrung zu jagen? Denn: Der Dachboden hat keine Fenster und keine noch
so winzige Öffnung zum Rausfliegen.“
Gaby lächelte. „Es sind also
doch Vampire — und sie können Mauern durchdringen.“
„Sie haben nichts Geisterhaftes
an sich. Aber sie besitzen eine hohe Intelligenz und ein tolles Gedächtnis. Ich
habe nämlich rausgefunden: Eingedrungen sind sie — und das muss im letzten
Herbst gewesen sein — durch ein Kellerfenster. Das liegt 120 Meter Luftlinie
vom Dachboden entfernt. Der Weg dorthin führt durch kleine Öffnungen, Durchschlüpfe
von nur 30 Zentimeter Durchmesser, an innen liegenden Dachrinnen entlang und um
zahllose Ecken. An diesen Weg haben sie sich alle Alttiere im Frühjahr nach dem
Aufwachen erinnert. Sie haben ihn wieder gefunden und schwirren ihn jetzt
zweimal täglich entlang: abends raus, morgens rein. Wirst du alles beobachten.
Die Jungtiere fliegen mit, lernen von den Alten.“
„Phantastisch. Und doch noch
eine Frage: Wie hast du das entdeckt?“
„Ich hatte mir sowas gedacht.
Es musste so sein. Aber wo — bei diesem Riesengebäude. Also bin ich mit dem
Bat-Detektor ums Schloss geschlichen. Ich wollte den so genannten Wildwechsel
erkunden. Die Fledermäuse stoßen nämlich Rufe aus auf einer sehr hohen
Frequenz, die das menschliche Ohr nicht wahrnehmen kann. Die Hufeisennase pfeift
unisono auf 108 Kilohertz. Mit dem Detektor kann ich das dann runtermodulieren
auf menschliche Tonhöhe, nämlich 20 Kilohertz. Dann höre ich das Pfeifen. Damit
habe ich sie gefunden — und dann ihren Weg verfolgt.“
„Megasuper! Eine
Fledermaus-Pirsch.“
„Aber nicht um die Tiere zu
erlegen, sondern um sie zu schützen. Das gilt besonders für ihren Winterschlaf.
Den müssen sie unbedingt ohne Störung verbringen. Weil in ihnen fast alles auf
null geschaltet ist. Werden sie aufgeweckt im Winter, verbrauchen sie den Rest
ihrer Energien. Mehrmalige
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