Im Schwarm - Ansichten des Digitalen
der undinglichen Zukunft wird kein Arbeiter, kein Homo faber, sondern der Spieler, der Homo ludens sein. 26
Der »fingernde handlose Mensch« der Zukunft, der Homo digitalis, handelt nicht. Die »Atrophie der Hände« macht ihn handlungsunfähig. Sowohl die Behandlung als auch die Bearbeitung setzen einen Widerstand voraus. Auch die Handlung muss einen Widerstand überwinden. Sie setzt das Andere, das Neue gegen das, was vorherrscht. Ihr wohnt eine Negation inne. Ihr Für ist gleichzeitig ein Gegen. Die heutige Positivgesellschaft vermeidet aber alle widerständigen Formen. Sie beseitigt dadurch Handlungen. In ihr herrschen nur unterschiedliche Zustände des Gleichen.
Vom Digitalen geht kein materieller Widerstand aus, den man vermittels Arbeit zu überwinden hätte. So nähert sich die Arbeit tatsächlich dem Spiel. Aber entgegen Flussers Vision leitet das undingliche, digitale Leben nicht die Zeit der Muße ein. Flusser bleibt das Prinzip der Leistung verborgen, das die Annäherung von Arbeit und Spiel wieder durchkreuzt. Es nimmt dem Spiel jedes Spielerische und macht es wiederum zur Arbeit. Der Spieler dopt sich und beutet sich aus, bis er daran zugrundegeht. Das digitale Zeitalter ist kein Zeitalter der Muße, sondern das der Leistung. Der »handlose fingernde Mensch« ist entgegen Flussers Vision kein Homo ludens. Das Spiel selbst unterwirft sich dem Leistungszwang. Auf die Atrophie der Hände folgt eine digitale Arthrose der Finger. Flussers Utopie des Spiels und der Muße erweist sich als Dystopie der Leistung und Ausbeutung.
Die Muße beginnt dort, wo die Arbeit ganz aufhört. Die Zeit der Muße ist eine andere Zeit. Der neoliberale Imperativ der Leistung verwandelt die Zeit in Arbeitszeit. Er totalisiert die Arbeitszeit. Die Pause ist nur eine Phase der Arbeitszeit. Heute haben wir keine andere Zeit als die Arbeitszeit. So nehmen wir sie nicht nur in den Urlaub, sondern auch in den Schlaf mit. Daher schlafen wir heute unruhig. Die erschöpften Leistungssubjekte schlafen so ein wie das Bein einschläft. Auch die Entspannung ist insofern nicht mehr als ein Modus der Arbeit, als sie zur Regeneration der Arbeitskraft dient. Die Erholung ist nicht das Andere der Arbeit, sondern deren Produkt. Auch die sogenannte Entschleunigung kann keine andere Zeit generieren. Sie ist ebenfalls eine Folge, ein Reflex der beschleunigten Arbeitszeit. Sie verlangsamt nur die Arbeitszeit, statt diese in eine andere Zeit zu verwandeln.
Heute sind wir zwar frei von den Maschinen des Industriezeitalters, die uns versklavten und ausbeuteten, aber die digitalen Apparate bringen einen neuen Zwang, ein neues Sklaventum hervor. Sie beuten uns insofern noch effizienter aus, als sie aufgrund ihrer Mobilität jeden Ort in einen Arbeitsplatz und jede Zeit in Arbeitszeit verwandelt. Die Freiheit der Mobilität schlägt in den fatalen Zwang um, überall arbeiten zu müssen. Im Maschinenzeitalter war die Arbeit allein schon wegen der Immobilität der Maschinen abgrenzbar von der Nicht-Arbeit. Der Arbeitsplatz, an den man sich eigens begeben musste, ließ sich klar von den Räumen der Nicht-Arbeit trennen. Heute ist diese Abgrenzung in vielen Berufen ganz aufgehoben. Der digitale Apparat macht die Arbeit selbst mobil. Jeder trägt den Arbeitsplatz mit sich herum wie ein Arbeitslager. So können wir der Arbeit nicht mehr entkommen.
Von den Smartphones, die mehr Freiheit versprechen, geht ein fataler Zwang aus, nämlich der Zwang zur Kommunikation. Inzwischen hat man ein fast obsessives, zwanghaftes Verhältnis zu dem digitalen Apparat. Auch hier schlägt die Freiheit in Zwang um. Die sozialen Netzwerke verstärken diesen Zwang zur Kommunikation massiv. Er ergibt sich letzten Endes aus der Logik des Kapitals. Mehr Kommunikation bedeutet mehr Kapital. Der beschleunigte Kreislauf von Kommunikation und Information führt zum beschleunigten Kreislauf von Kapital.
Das Wort »digital« verweist auf den Finger (digitus), der vor allem zählt. Die digitale Kultur beruht auf dem zählenden Finger. Geschichte ist aber Erzählung. Sie zählt nicht. Zählen ist eine posthistorische Kategorie. Weder Tweets noch Informationen fügen sich zu einer Erzählung zusammen. Auch die Timeline erzählt keine Lebensgeschichte, keine Biografie. Sie ist additiv und nicht narrativ. Der digitale Mensch fingert in dem Sinne, dass er ständig zählt und rechnet. Das Digitale verabsolutiert die Zahl und das Zählen. Auch Facebook-Freunde werden vor
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