Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Kapitel 1
Jack Mercys Tod änderte nichts an der Tatsache, daß er ein elender Hundesohn war. Die eine Woche, die er nun friedlich im Sarg lag, wog die achtundsechzig Jahre eines Lebens voller Niedertracht bei weitem nicht auf, und viele der Menschen, die an seinem Grab zusammengekommen waren, hätten ihrem Herzen nur zu gerne Luft gemacht.
Begräbnis hin, Begräbnis her, Bethanne Mosebly flüsterte ihrem Mann eben jene unfreundlichen Äußerungen ins Ohr, während sie im hohen Gras des Friedhofes standen. Nur ihre Zuneigung zu der jungen Willa hatte sie überhaupt hierhergeführt, und auch diese Bemerkung war während der gesamten Fahrt von Ennis bis zum Friedhof wieder und wieder gefallen.
Bob Mosebly, der das Geschnatter seiner Frau seit nunmehr sechsundvierzig Jahren ertrug, gab einen unverbindlichen Laut von sich und blendete dann ihre Stimme sowie die eintönige Rede des Pfarrers einfach aus. Nicht daß Bob freundliche Erinnerungen an Jack hegte. Er hatte den alten Bastard gehaßt – wie fast jede lebende Seele im Staate Montana.
Inzwischen hatte sich in jenem idyllischen Eckchen der Mercy Ranch, die im Schatten der Big Belt Mountains nahe des Ufers des Missouri lag, eine beachtliche Menschenmenge eingefunden, die sich hauptsächlich aus Ranchern, Cowboys, Kaufleuten und Politikern der Umgebung zusammensetzte. Hier, wo das Vieh friedlich auf den Hügeln graste und Pferde über die sonnigen Weiden galoppierten, lagen Generationen von Mercys unter dem sacht im Winde wehenden Gras begraben.
Jack war der letzte. Er selbst hatte den Sarg aus schimmerndem Kastanienholz bestellt, der eigens für ihn angefertigt und mit den ineinander verschlungenen goldenen Ms , dem Zeichen der Mercy Ranch, versehen worden war. Nun
schlummerte er, bekleidet mit seinen besten Schlangenlederstiefeln und seinem uralten Lieblingsstetson, seinen Ochsenziemer zwischen den gefalteten Händen, für immer in der mit weißem Satin ausgeschlagenen Kiste.
Jack hatte stets erklärt, er wolle so abtreten, wie er gelebt hatte: in großem Stil.
Man erzählte sich, daß Willa bereits, den Instruktionen ihres Vaters Folge leistend, einen Grabstein bestellt hatte. Aus weißem Marmor sollte er sein – keinen gewöhnlichen Granitstein für Jackson Mercy, o nein –, und die Inschrift, die darin eingemeißelt werden sollte, hatte er auch bestimmt.
Hier ruht Jack Mercy
Er lebte, wie es ihm gefiel, und so starb er auch
Wem das nicht paßt, der soll zum Teufel gehen
Sobald die Erde sich gesenkt hatte, würde der Stein aufgestellt werden und sich zu all den anderen gesellen, die verstreut auf dem steinigen Land standen. Alle Mercys lagen hier, angefangen bei Jacks Urgroßvater Jebidiah Mercy, der die Berge durchstreift und sich schließlich auf diesem Fleckchen Erde niedergelassen hatte, bis hin zu Jacks dritter Frau – der einzigen, die gestorben war, ehe er sich von ihr scheiden lassen konnte.
War es nicht eine Laune des Schicksals, grübelte Bob, daß ihm jede seiner Frauen eine Tochter geschenkt hatte, obwohl er sich doch nichts sehnlicher wünschte als einen Sohn? Vielleicht hatte Gott auf diese Weise einen Mann gestraft, der in jeder Hinsicht über Leichen ging, um das zu bekommen, was er wollte.
Bob konnte sich an jede von Jacks Frauen noch gut erinnern, obwohl keine lange geblieben war. Bildhübsch waren sie gewesen, alle drei, und auch die Töchter konnte man nicht gerade als häßlich bezeichnen. Bethanne hatte die Telefonleitungen zum Glühen gebracht, als bekannt geworden war, daß Mercys beide ältere Töchter zu seiner Beerdigung erscheinen würden. Keine hatte je zuvor einen Fuß auf Mercy-Land gesetzt. Sie wären auch nicht willkommen gewesen.
Nur Willa war geblieben. Mercy hatte kaum etwas dagegen unternehmen können, da ihre Mutter gestorben war, als sie noch in den Windeln lag. Da er keine Freunde oder Verwandten besaß, denen er das Kind hätte aufbürden können, wurde das Baby der Obhut seiner Haushälterin anvertraut, und Bess hatte das Mädchen großgezogen, so gut sie konnte.
Jede der drei Frauen hatte etwas von Jack, stellte Bob fest, während er sie unter der Krempe seines Hutes hervor betrachtete. Das dunkle Haar, das energische Kinn. Man sah sofort, daß es sich um Schwestern handelte, obwohl die drei sich noch nie begegnet waren. Mit der Zeit würde sich herausstellen, ob sie miteinander auskamen, und mit der Zeit würde sich auch zeigen, ob Willa genug von Jack Mercy in sich hatte, um eine
Weitere Kostenlose Bücher