Im Sog Des Boesen
den Bildschirm seines Laptops, zur Musik von Tom Waits, der gerade »Christmas Card from a Hooker in Minneapolis« sang - das passte zu Lucas’ Stimmung.
Auf der anderen Straßenseite schlich eine Frau auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer und warf einen Blick in ein Babybettchen. Lächelnd knöpfte sie ihre Bluse auf, schlüpfte heraus, hängte sie über einen Stuhl und öffnete den Büstenhalter.
Neben Lucas’ Notebook lag ein Canon-Fernglas, das er zur Hand nahm, um zu beobachten, wie die Frau in einer Kommodenschublade wühlte. Es schien kühl zu sein in der Wohnung, denn ihre Brustwarzen waren aufgerichtet. Sie hatte braune Haare und dunkle Augen und einen langen, geschmeidigen Rücken.
Nach einer Weile holte sie ein T-Shirt und ein dickes blaues Sweatshirt heraus und zog beides an. Allmählich sah man ihren Bauch; vierter Monat, schätzte Lucas. Jedenfalls suchte sie artig alle zwei Wochen den Gynäkologen auf.
Wenn sie den BH aus- und ein Sweatshirt anzog, würde sie wohl nicht mehr ausgehen, denn Heather war sehr modebewusst und trug sogar im Starbucks hochhackige Schuhe. Und auch Siggy würde nicht auftauchen.
Sigitas Toms, kurz Siggy, ursprünglich aus Litauen, war der größte Kokaindealer der Twin Cities gewesen, hatte Immobilien- und Börsenmakler sowie Gebrauchtwagenhändler
gleichermaßen über Kontakte mit Stoff versorgt, am Ende zwei Millionen jährlich netto, steuerfrei, verdient und das Geld in ganz Amerika und Europa gebunkert.
Als das SKA und die Stadtpolizei von St. Paul ihn festnahmen, erklärte er den Beamten, dass er nicht ins Gefängnis gehen würde. Darüber lachten alle, auch Siggy selbst. Er war umgänglich, jedenfalls, solange er nicht die Daumenschrauben anlegte.
Zwei Stunden nachdem er gegen Kaution freigekommen war, verschwand er.
Zu dem Zeitpunkt stand er unter Beobachtung von zwei Beamten, einem vom SKA und einem von der Polizei in St. Paul. Zu Hause, berichteten sie, wurde er herzlich von Heather empfangen. Eine Stunde später, noch mit feuchten Haaren von der, wie die Beamten vermuteten, postkoitalen Dusche, verließ er das Haus mit einer Einkaufsliste - Pampers, Babypuder et cetera - und fuhr mit seinem Lexus zum Woodbury-Target-Supermarkt.
Die Beamten machten sich nicht allzu viele Gedanken, als sie ihn in der Betten-und-Bad-Abteilung, genauer gesagt zwischen hohen Stapeln von Handtüchern und Badematten, aus den Augen verloren, weil es im Target nur den vorderen Eingang gab, und da stand ja jemand.
Außerdem kam es in einem großen Geschäft wie dem Target schon mal vor, dass jemand vorübergehend verschwand. Als er nach ein paar Minuten noch immer nicht auftauchte, wurden sie allerdings unruhig.
Am Ende stellte sich heraus, dass das Target durchaus eine Hintertür hatte, wenn auch nicht für die Kunden.
Und vor der wartete ein Wagen auf Siggy.
Seine Frau Heather, geborene Anderson, gab zu Protokoll, sie wisse nichts. Siggy sei ein bescheidener Autoverkäufer, erklärte sie auf den Stufen ihres zwei Komma acht Millionen Dollar
teuren Stadthauses. Besagtes Haus war Teil von Siggys Drei-Millionen-Dollar-Kaution. Erst als er verschwand, stellte sich heraus, dass es mit einer bis dahin unbekannten Hypothek belastet war und dem Gericht de facto nur Luft blieb.
Heather rang bedauernd die Hände, der Staatsanwalt von Ramsey County brummelte vor sich hin, und Siggy ließ sich wohl irgendwo in Mexiko, Paraguay oder Belize einen Bart wachsen, trank Margaritas und cerveza blanca und beobachtete die Touristen, die, Händchen haltend, Flip-Flops an den Füßen, den Strand entlangflanierten.
Heather musste das Haus acht Monate nach Siggys Verschwinden verlassen. Ein Käufer wurde gefunden, ein Radiologe, der im allerletzten Moment einen Rückzieher machte, als ein Mann telefonisch drohte, im Fall seines Einzugs seine Kinder aus der Schule zu entführen und ihnen die Augen mit einem glühend heißen Schürhaken auszustechen.
So blieb das Haus leer, während Heather in ein Apartment im ersten Stock eines Gebäudes an der Snelling Avenue in St. Paul zog. Ihre Mutter, die im Rollstuhl saß und ihres schwachen Herzens wegen ein Sauerstoffzelt brauchte, wohnte gleich nebenan. Das Ende des Jahres, vielleicht sogar des Monats, würde sie nicht mehr erleben.
Sobald die alte Dame das Zeitliche gesegnet hatte, vermutete Lucas, würden Heather und das Kind sich in wärmere Gefilde aufmachen, wo sich niemand für Siggy und seinen Kokainhandel in den Twin Cities
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