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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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vergifte.«
    Ihre Blicke trafen sich. Noch vor Monaten hätte Jaime im Brustton der Überzeugung behauptet, alle Indios – alle Barbaren, Wilden – hätten die gleichen Augen, schwarz und vollkommen undurchsichtig. Aber die Augen, die Anavera und ihr Vater hatten, konnte unmöglich ein anderer Mensch haben. Sie waren dunkel und offen, und auf einmal sah er hinter der Unantastbarkeit des Mannes das, was er bald ein Jahr lang wie ein Besessener dort gesucht hatte – den Schmerz. Die tiefe jahrzehntealte Verletzung.
    Er wollte ihm jetzt sagen, was er Anavera versprochen hatte, doch im letzten Moment schreckte er wiederum davor zurück. Stattdessen sagte er ihm das andere. Zumindest den ersten Teil davon. »Ich bin gekommen, um mich zu bedanken, Señor Gobernador. Dafür, dass Sie mich gerettet haben. Und auch dafür, dass Sie Ihrer Tochter erlaubt haben, bei mir in Valladolid zu bleiben.«
    »Mir blieb nichts anderes übrig, oder? Ich pflege meine Tochter nicht an den Haaren in einen Zug zu schleifen. Und gerettet hat sie der erstaunliche Herr aus München, der todesmutig bei der Pyramide ausharrte, bis Teobald Malers Expedition eintraf. Bedanken Sie sich bei ihm. Und bei Anavera.«
    »Ja«, sagte Jaime.
    Anavera war die vier Wochen, in denen er um sein Leben gekämpft hatte, in Valladolid geblieben, hatte bei irgendwelchen Leuten gewohnt, die ihr Vater aus dem Krieg kannte, und jeden Tag bei ihm im Spital verbracht. In seiner Erinnerung kam es ihm vor, als hätte nicht er um sein Leben gekämpft, sondern sie. Er hatte nie um etwas gekämpft. Nur gegen etwas. An irgendeinem Punkt hatte er begriffen, dass er um Anavera kämpfen wollte. Selbst dann, wenn er sich nicht die Spur einer Hoffnung ausrechnen durfte.
    »Ich liebe Ihre Tochter, Señor Gobernador«, sagte er, schob den Sessel beiseite und ging in die Knie. Es war nicht leichter, als er befürchtet hatte, aber es brachte ihn zweifellos nicht um. »Ich verstehe, dass Sie das nicht glücklich macht, und ich erwarte nicht von Ihnen, dass Sie hier und jetzt eine Entscheidung fällen. Bitte erlauben Sie mir, um Ihre Tochter zu werben. Bitte geben Sie mir Gelegenheit, Ihnen zu beweisen, dass Sie mir Ihre Tochter anvertrauen können.«
    »Und was könnte ich sonst tun?«, fragte Anaveras Vater. »Meine Tochter liebt Sie doch. Soll ich ihr das Herz brechen, oder soll ich es nicht besser Ihnen überlassen?«
    »Ich weiß, wie unglaubhaft das klingt, aber davor, dem Herzen Ihrer Tochter Schaden zuzufügen, fürchte ich mich Tag und Nacht. Anavera und ich sind übereingekommen, dass wir uns Ihrer Entscheidung fügen. Wenn Sie nach dem, was vorgefallen ist, eine Verbindung zwischen uns für alle Zukunft ausschließen, werden wir uns nicht mehr wiedersehen.«
    »Und das wollen Sie durchhalten?«
    Jaime konnte darauf keine Antwort geben. Es war die Frage, die er selbst sich in einem fort stellte. Wie sollte er es durchhalten? Wie ließ man, wenn man einmal von einem Menschen berührt worden war, diesen Menschen wieder los? Warum brachte der verfluchte Schlangengott, der in der verborgenen Stadt Chichén Itzá vor sich hin träumte, die Menschen mit seinen Gaben dazu, das Leben zu lieben, wenn er sie ihnen hinterher aus den klammernden Fingern entriss?
    Anaveras Vater griff über den Tisch nach einem der unzähligen Bücher und zog es zu sich. »Sie sind im katholischen Glauben erzogen worden, richtig?«
    Die Frage verstörte ihn vollends. Von einem gewöhnlichen Schwiegervater hätte er sie sogar erwartet, aber nicht von einem … Seine Gedanken stockten. Von einem Indio? Einem Wilden? Barbaren? Wenn der Himmel ihm gnädig war, wenn er mehr Glück als Verstand hatte, dann würde dieser Mann eines Tages nichts anderes als ein gewöhnlicher Schwiegervater für ihn sein. Er blickte auf und nickte. »Ja, Señor.«
    »Und hat man Sie zum Bibelstudium angehalten? Auch zum Studium des Alten Testaments?«
    »Gelegentlich.«
    »Schön«, sagte Anaveras Vater. »Dann ist Ihnen zweifellos die Geschichte von dem Mann namens Laban bekannt, der zwei Töchter hatte, aber nur einen Bewerber?«
    Mir ja, dachte Jaime, aber dass sie dir bekannt ist, hätte ich nie vermutet. Beschämt nickte er.
    »Erinnern Sie sich, was Jakob dem Laban anbot, damit er Rahel, die Jüngere, heiraten durfte?«
    Jaimes Herz begann wie mit Paukenschlegeln gegen seinen Brustkorb zu trommeln. »Er bot ihm an, ihm sieben Jahre um Rahel zu dienen.«
    Mit seinen schlanken braunen Händen schlug Anaveras Vater das

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