Im Totengarten (German Edition)
Lola sah mich fragend an.
»In Blackheath.«
»Unserem alten Revier.« Sie riss die Augen auf. »Brauchst du was zu trinken?«
»Einen Gin. Wobei du dir den Tonic sparen kannst.«
Sie kicherte. »War es etwa so schlimm? Aber keine Angst, nachher kommst du nämlich mit auf eine Party.«
»Und für welchen guten Zweck sammeln sie dort?«
»Es ist einfach eine Party, Al. Eine Party muss nicht jedes Mal mit einem wohltätigen Zweck verbunden sein.«
»Ich bin echt nicht in der Stimmung.«
»Oh, das kommt schon noch. Los, lass uns gucken, was du alles in deinem riesigen begehbaren Kleiderschrank versteckst.«
Lola fegte wie ein Wirbelwind durch meinen Schrank.
»Meine Güte, Al, du solltest ein Bestattungsunternehmen gründen. Hier hängen sechs schwarze Kostüme rum.«
»Vielleicht kann ich ja umschulen.«
Sie zog ein silbriges Minikleid hervor und hielt es mir vor den Bauch.
»Nie im Leben«, protestierte ich. »Das Ding hatte ich schon seit zehn Jahren nicht mehr an.«
»Zum Tanzen ist es super.«
»Wahrscheinlich passe ich gar nicht mehr rein.«
»Schwachsinn.« Sie bedachte mich mit ihrem strengsten Blick. »Du kommst heute Abend mit, Schluss, aus. Und vorher brezel ich dich noch ein wenig auf.«
Das tat sie mit aufheizbaren Lockenwicklern, einer Wimpernzange sowie tonnenweise Make-up, und bevor wir aus der Wohnung gingen, als das Taxi kam, zerrte sie mich noch mal vor den Spiegel und baute sich direkt neben mir auf. Das Silberkleid betonte durchaus vorteilhaft meine Figur, und auch Lola, die mich mindestens um Haupteslänge überragte, sah in ihrem kurzen grünen Kleid und den hautengen Leggins alles andere als übel aus.
»Wir sehen einfach super aus. Die Kerle werden sich um uns schlagen«, stellte sie zufrieden fest.
Lolas Freunde lebten in der Nähe von Waterloo in einer Wohnung mit einem winzigen Wohnzimmer. Die Party war bereits in vollem Gang, als wir dort ankamen. Überall roch es nach Dope, und die Gäste mussten Schauspieler sein, denn sie sprachen alle doppelt so laut wie normale Menschen und fuchtelten wild mit ihren Händen rum. Lola vollführte ihren altbekannten Zaubertrick und wurde eins mit der Menge, sobald wir durch die Tür gekommen waren.
»Hier wimmelt es nur so von Casting-Agenten, Al«, erklärte sie. »Deshalb schmeiße ich mich am besten ein bisschen an die Leute ran.«
Bald lehnte sie an der Wand und hörte einem kleinwüchsigen, wenig attraktiven Typen zu, der sich für den begnadetsten Redner aller Zeiten hielt, und mir fiel wieder ein, warum ich nicht mehr gern auf Partys ging. In dem Raum war es so voll, dass man nur mit Mühe Luft bekam. Ein blonder Mann mit unnatürlich weißen Zähnen sah mich grinsend an.
»Ich habe Sie schon mal irgendwo gesehen«, erklärte er. »Tschechow im Donmar , stimmt’s?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Also bitte. Früher oder später kriege ich ja sowieso Ihre Lebensgeschichte raus.«
Er packte meine Hand und zog mich durch eine Flügeltür auf eine Dachterrasse, auf der Leute zu einer Mischung aus Popmusik und langsamen Schnulzen tanzten, als würde jeder Song von zwei verschiedenen Generationen mühselig erkämpft. Der Mann nannte mir seinen Namen, aber die Musik war derart laut, dass ich ihn nicht verstand. Doch sobald wir tanzten, war mir das egal. Ich brauche immer ein paar Drinks, um mich auf die Tanzfläche zu wagen, aber wenn ich einmal dort bin, bekommen mich keine zehn Pferde mehr dort weg. Das Tanzen hatte dieselbe Wirkung wie das Laufen, und die Mischung aus Alkohol und glücklich machender Chemie breitete sich in meinem Körper aus. Nach ein paar Liedern sahen die anderen Leute bereits deutlich hübscher aus, und endlich dachte ich nicht mehr an den Morgen in Blackheath.
»Wollen Sie noch was trinken?«, schrie der Blonde mir ins Ohr.
Ich schüttelte den Kopf, und er verschwand, wurde jedoch sofort durch einen Mann mit wunderschönen nordafrikanischen Zügen und danach durch eine Frau mit leuchtend rotem Lippenstift und unglaublich kurzem Haar ersetzt. Und dann tanzte ich allein, ließ mich von der Musik treiben und nahm die Kälte gar nicht mehr wahr.
Als ein langsameres Lied erklang, gab ich schließlich auf, ging wieder in die Wohnung und schob mich auf der Suche nach einem Glas Wasser durch das Gedränge in der Küche bis zum Wasserhahn. Der Mann mit den makellosen Zähnen blickte geradewegs durch mich hindurch. Inzwischen lag sein Arm so fest um eine junge Frau in goldenen Hotpants, als fürchte er, sie ließe
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