Immortals after Dark 03 - Versuchung des Blutes
Honorius
Noch heute Abend würde er Mariah wiederbekommen.
Ein allerletzter Wettkampf. Eine allerletzte Anstrengung, die sein zerschundener Körper durchstehen musste. Und dann: sein Lohn.
Auf dem Weg durch einen glühend heißen Tunnel auf die Flammengrube der Feuerschlange zu verspürte Bowen ein Gefühl der Verheißung, eine geradezu euphorische Vorahnung, die jedoch mit den Schmerzen seiner zahlreichen Verletzungen im Widerstreit la g – Verletzungen, die nicht heilen wollten .
Die Tour war genauso mörderisch gewesen, wie er erwartet hatt e – und darauf war er auch gefasst gewese n – , aber wer jetzt zuletzt lachte, war wohl die Hexe.
Der Zauber aus dem Grab, von dem er angenommen hatte, dass er harmlos gewesen sei, hatte in Wirklichkeit Besitz von seinem Körper ergriffen. Er breitete sich in ihm aus wie wuchernde Wurzeln, laugte ihn Tag für Tag mehr aus, nahm ihm seine Unsterblichkeit. Sein Körper hatte die Fähigkeit verloren, sich zu regenerieren, und zum ersten Mal seit zwölfhundert Jahren spürte er einen Alterungsprozess. Genau genommen hatte er das Finale des Wettbewerbs nur mit größter Mühe erreicht.
Es konnte wohl keinen schlechteren Zeitpunkt geben, seine Kräfte zu verlieren, als mitten in der Tour. Deren Preis ihm seine Mariah zurückbringen würde.
Seit einhundertachtzig Jahren, seit der Nacht, in der er sie gefunden hatt e – ihr zarter Körper aufgespießt und ihr grüner Umhang auf dem blutgetränkten Schnee ausgebreite t – , suchte er unablässig nach einem Weg, sie wieder zum Leben zu erwecken.
Er war in einer Art Halbleben erstarrt, weder tot noch wirklich lebend, im festen Glauben, dass er sie wieder zu sich zurückholen könnte, wohingegen die meisten anderen Lykae einen Weg zu sterben gefunden hätten, wenn sie ihre Gefährtin verloren hätten. Manch ein Angehöriger seines Clans hielt ihn für verrückt und fragte sich, warum er in diesem elenden Zwielicht weiterexistierte. Selbst seine Cousins, Lachlain und Garreth, die für ihn wie Brüder waren, konnten ihn nicht verstehen.
Aber er würde es ihnen allen zeigen, denn nachdem er so lange vergeblich gesucht hatte, hatte ausgerechnet eine verrückte Walküre und Weissagerin ihn auf diesen Wettbewerb aufmerksam gemach t – und ihm erzählt, dass er der Weg zu seiner Gefährtin sei. Als er dann erfahren hatte, dass der Preis, den der Sieger am Ende der Tour erhielt, ein Schlüssel war, mit dessen Hilfe man in die Vergangenheit reisen konnte, ergab auf einmal alles einen Sinn.
Bowe hatte nicht törichterweise all seine Hoffnungen auf etwas gesetzt, das niemals geschehen würde. Die Chance, Mariah zurückzuholen, war jetzt zum Greifen nahe, und er hatte erbarmungslos für diesen Schlüssel gekämpft.
Doch das hatten auch seine beiden Hauptkonkurrenten getan: die Walküre Kaderin die Kaltherzige und Sebastian Wroth, ein Vampirkrieger. Gerade erst vor zwei Nächten hatten sie Bowe auf einem Minenfeld in Kambodscha in eine Explosion gedrängt, die ihm einen rostigen Granatsplitter zwischen die Rippen gejagt und sein linkes Auge und einen Teil seiner Stirn weggepustet hatte.
Wegen des Fluchs der Hexe heilten diese grauenhaften Verletzungen nicht ab.
Jetzt, halb blind und unvorstellbar schwach, gab es nur noch einen einzigen Grund, wieso Bowe immer noch davon überzeugt war zu gewinnen: In dieser letzten Runde traten nur zwei Wettkämpfer gegeneinander an, und die andere Finalistin war Kaderin. Ja, die Walküre war sicherlich eine entschlossene Gegnerin, aber am Ende war auch sie nur eine Frau.
Er verlangsamte sein Tempo, versuchte festzustellen, ob sie schon dort war. In diesem letzten Abschnitt der Tour war es erlaubt zu töten. Würde Bowe heute Nacht eine Frau umbringen, um Mariah zurückzuerlangen? Ohne jeden Zweifel würde die Walküre, sollte sie die Chance bekommen, ohne auch nur mit ihren kalten, emotionslosen Augen zu blinzeln, ihr Assassinenschwert ziehen und ihn vom Schritt bis zum Kragen aufschlitzen.
Eins wusste Bowe mit absoluter Sicherheit: Wenn er verlor, würde er die Hexe, die ihn so geschwächt hatte, töten.
Tief in der Erde erhob sich ein ohrenbetäubendes Gebrüll und die Höhle geriet ins Schwanken, sodass Geröll und Staub auf ihn hinabprasselten. Die Feuerschlange, der Legende nach ein Ungeheuer so groß wie ein Basilisk, aber mit einem Körper aus Feuer, hatte wohl Bowes Eindringen bemerkt.
In der Mythenwelt war dieser Ort als der Platz bekannt, den Unsterbliche aufsuchten, um zu sterben .
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