Immortals after Dark 04 - Tanz des Verlangens
es.
Dann … sieht er zum ersten Mal ihr Gesicht. Mit Mühe unterdrückt er einen Fluch. Also hat er sich nicht getäuscht, in jener Nacht.
War ja klar, dass sie ’ne verdammte Schönheit ist. Er lacht kurz auf. Selbstverständlich würde er sich nur das Allerbeste zusammenfantasieren.
Diese großen blauen Augen sind ein weiterer Farbklecks in ihrem Schwarz-Weiß-Bild. Sie hat eine kesse, schmale Nase und glatte, durchscheinende Haut. Ihre Lippen sind blass, aber voll, besonders die untere.
Plötzlich wendet sie sich zu ihm um, so als ob sie seinen forschenden Blick bemerkt hätte, und steht auf, mit geradezu gespenstischer Anmut. Er gibt sich Mühe, jegliche Gefühlsregung aus seiner Miene zu verbannen, während er sie nicht aus den Augen lässt.
Sie neigt den Kopf zur Seite. Sieht sie mich etwa forschend an? Kann sie in der Dunkelheit sehen?
Nein, sie ist nicht real. Es ist ein Unterschied, ob man Halluzinationen hat oder mit ihnen interagiert … Darf die Grenze nicht überschreiten …
Sie scheint zu schreiten, obwohl sie über dem Boden schwebt. Und sie kommt geradewegs auf das Bett zu. Was will sie von ihm? Näher … näher …
Undeutlich hört er Sebastian fragen: „Weißt du, was mit dir passiert, wenn deine Braut dich erweckt ? Dein Herz beginnt wieder zu schlagen, und du wirst wieder anfangen zu atmen. Die Luft liegt kalt und schwer in deinen Lungen, aber der Druck fühlt sich gut an, wenn du dich nicht dagegen wehrst. Und dann, mit ein bisschen Hilfe von ihr, wird dein ganzer Körper wieder zum Leben erwachen, als ob man ein Feuer entfacht hätte.“
Ein entfachtes Feuer. Mit anderen Worten: Er würde wieder einen Steifen kriegen können.
Aber im Gegensatz zu allen anderen Vampiren, die er je kennengelernt hat, will er nicht erweckt werden. Ihm gefällt die Ruhe in seinem Körper, und er wird mit allem, was ihn ausmacht, daran festhalten. Die Aussicht zu sterben ist gar nicht mehr so erschreckend, wenn man den halben Weg schon hinter sich hat …
Die Frau schleicht sich näher an ihn heran und beugt den zur Seite gelegten Kopf herab. Horcht sie an meiner Brust? Sie hat Sebastians Erklärung für den fehlenden Herzschlag gehört und beschlossen, es selbst zu überprüfen. Was bedeutet, dass sie ein denkendes Wesen ist.
Er hatte sich an die Hoffnung geklammert, dass sie ein hirnloses Geisterwesen ist, das sich über seine Handlungen nicht im Klaren ist, das instinktiv handelt, ohne zu überlegen. Stattdessen ist ihr Verstand hellwach. Mit einem Mal beschämt ihn seine Lage: auf einem Bett angekettet, der Gnade anderer hilflos ausgeliefert. So erbärmlich hat er sich noch nie im Leben gefühlt.
Nein, es gab schon einmal so eine Situation …
Von Nahem sieht er immer wieder ihr gespenstisches Haar aufleuchten, das ihr über die Schulter fällt. Er schluckt und schließt die Augen, während er darauf wartet, die Berührung ihres Haars auf seiner Haut zu spüren. Doch alles, was er wahrnimmt, sind ein paar schwache elektrische Nadelstiche. Nicht dass es wehtäte – ganz im Gegenteil, es ist alles andere als unangenehm.
Als sie wieder zurückweicht, öffnet er die Augen einen Spaltbreit. Ihr Mund steht vor Überraschung offen.
„Wie seltsam, dément … dein Herz steht wahrhaftig still.“
Fast wäre er vor ihr zurückgezuckt … Der Geist hat sich direkt an ihn gewandt. Jetzt ist es so weit. Er hat komplett den Verstand verloren.
Ihre widerhallenden Worte klingen gedehnt, als ob sie von weit, weit her kämen. Er kann sie kaum hören – was wiederum bedeutet, dass niemand außer ihm sie vernimmt. Sein Gehör ist zehnmal besser als selbst das seiner Brüder. Hundertmal besser als das eines Menschen.
Er weiß, dass sie ihn nicht anspricht, weil sie sich eine Antwort erhofft. Es scheint eher so, als ob sie das Sprechen üben wollte. Sie sieht aus, als ob sie jedes einzelne Wort koste, um festzustellen, wie es sich auf ihrer Zunge anfühlt.
Augenblick mal … Hat sie mich gerade dément genannt? Das heißt auf Französisch so viel wie Wahnsinniger. Er fühlt Hitze in seinem Nacken aufsteigen. Obwohl er zumeist einfach instinktiv reagiert wie ein Tier, verspürt er doch manchmal, sehr selten, Gefühle, von denen er geglaubt hatte, sie verloren zu haben. Wie Scham.
Es gibt eine Grenze … Sieht sie mich etwa so?
„Du weißt das alles, oder etwa nicht?“, fragt Sebastian und atmet tief aus. „Bist du denn gar nicht neugierig, wie es ist, erweckt zu werden? Wir waren gezwungen, auf so
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