2897 - Tödlich rauschen die Wälder
Wir waren bereits drei Tage in den Rocky Mountains unterwegs und hatten seitdem kaum Zeichen von Zivilisation entdeckt. Das lag wahrscheinlich daran, dass wir die ausgetretenen Wanderpfade verlassen und uns querfeldein fortbewegt hatten. Hier war die Natur noch unberührt und man traf nur sehr selten auf irgendwelche Menschen.
Das Übernachten im Zelt war für uns Stadtmenschen ungewohnt. Kein weiches Bett, kein Bad, keine Toiletten, keine Straßen, kein Jaguar, keine Restaurants – das Leben in der Wildnis war ohne Frage ganz anders als das in der Zivilisation.
»Ich weiß nicht, was ich am meisten vermisse«, sagte Phil. »Mein Bett oder das gute Essen im Mezzogiorno .«
Wir hatten unsere Dienstwaffen und Dienstmarken zu Hause gelassen und uns vollständige Trekking-Ausrüstungen und eine Menge Proviant besorgt. Die einzige funktionierende technische Ausrüstung, die wir dabeihatten, bestand aus einem GPS-Navigationsgerät und einer Spiegelreflexkamera. Die Handys hatten wir zwar auch eingesteckt, aber in der Wildnis, weit weg von Funkmasten, funktionierten sie nicht.
Wir hatten zwei Wochen Urlaub und wollten einen Teil davon in Colorado verbringen. Unser Plan war, innerhalb von sechs Tagen eine Strecke von rund einhundert Meilen zurückzulegen. Das war auf ebenem Gelände nicht viel, aber in der teilweise zerklüfteten Landschaft der Rockys eine ziemliche Herausforderung. Phil hatte den Urlaubsort vorgeschlagen und ich hatte sofort zugestimmt. Ein paar Tage frische Luft zu schnappen und in der Natur zu verbringen – danach stand mir nach der Arbeit der letzten Monate der Sinn.
Wir hatten gerade Rast gemacht und unsere Rucksäcke abgelegt und waren dabei etwas zu essen, als Phil aufhorchte. Aufmerksam lauschend drehte er seinen Kopf zu mir. »Hast du das auch gehört?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, was denn?«
Gerade hatte ich meine Frage ausgesprochen, da hörte ich es auch. Ein Knacken, wie von einem morschen Ast.
Wir schauten in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und sahen einen Mann, der durch das Gebüsch lief. Er trug Jeans und ein blaues Hemd, das ziemlich mitgenommen aussah. Als wir zu ihm herüberschauten, hatte er uns auch entdeckt, erschrak und lief weg.
»Was ist denn mit dem los?«, fragte Phil.
»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Aber er sah nicht gut aus. Vielleicht braucht er Hilfe.«
»Ich schau mal, ob ich ihn erwische«, sagte Phil, legte sein Essen weg und machte sich auf den Weg.
Ich sah ihm hinterher, bis er im Dickicht des Waldes verschwunden war. Ein paar Augenblicke später hörte ich ihn auch nicht mehr.
Gut zehn Minuten später tauchte er wieder auf.
»Der hat sich in Luft aufgelöst«, sagte er. »Habe ihn weder gesehen noch gehört.«
»Wahrscheinlich haben wir ihm einen Schrecken eingejagt«, überlegte ich laut. »So wie er dreingeschaut hat.«
»Er sah nicht aus wie ein Wanderer, von der Kleidung her war er eher ein Stadtmensch, der sich verirrt hatte«, bemerkte Phil. »Was den wohl hierhin verschlagen hat.«
»Wir werden ihn vermutlich nie wiedersehen«, sagte ich. »Und das auch nie erfahren. Immerhin, wenn er Hilfe gebraucht hätte, wäre er doch auf uns zugekommen, nicht weggelaufen.«
»Wahrscheinlich«, meinte Phil und nahm sein Essen wieder auf. »Verdammt, hier darf man auch nichts liegen lassen, sonst kommen sofort die Ameisen.«
»Willkommen in der Natur«, sagte ich grinsend.
Ein paar Minuten später setzten wir unsere Wanderung fort und waren guter Dinge, bis plötzlich ein Schuss die Stille der Natur durchbrach.
***
Der laute Knall einer Schusswaffe ließ uns aufhorchen. Ein paar Vögel stiegen aufgeschreckt gen Himmel.
»Verdammt«, fluchte Phil. »Das hörte sich nicht nach einem Gewehr an, eher nach einer Pistole.«
Phil hatte recht. Das war nicht das Geräusch, das ein Gewehr erzeugte, also eine Waffe, die man in dieser Gegend erwarten würde, etwa in den Händen von Jägern oder Rangern.
»Wir sollten uns ansehen, was da los ist«, sagte ich und deutete in die Richtung, aus der der Knall gekommen war.
»Genau das wollte ich auch vorschlagen«, sagte Phil. »Befindet sich zwar nicht direkt auf unserer Route, aber wir liegen gut in der Zeit und können uns den kleinen Abstecher erlauben.«
Ich hatte schon so ein Gefühl, dass uns etwas erwartete, das unsere weiteren Urlaubspläne über den Haufen werfen würde, aber mein kriminalistischer Instinkt, gepaart mit entsprechender Neugier, war stärker als alles andere. Phil
Weitere Kostenlose Bücher