Immortals After Dark 12 - Lothaire
rechter Arm gewesen war und aus dem jetzt das Blut spritzte.
Sie stieß einen Seufzer puren Entzückens aus. Vor Jahrhunderten, als sie noch eine Göttin des Todes gewesen war, hätte sie sich auf diesen Menschen gestürzt, ihm die Fänge in die Halsschlagader gerammt und so lange gesaugt, bis nichts als die leere Hülle mehr übrig geblieben wäre, und dann hätte sie seine Seele verschlungen. Doch heute war sie dazu verflucht, einen machtlosen Menschen nach dem anderen in Besitz zu nehmen und ein ums andere Mal ihren eigenen Tod zu durchleben.
Ihre neueste Wirtin war Elizabeth Peirce, eine junge Frau von neunzehn Jahren, so hübsch, wie sie arm war.
Als der Diakon auf die zerstückelte Leiche eines seiner Glaubensbrüder traf, stieß er einen entsetzten Schrei aus und wandte den Blick von ihr ab. Wie der Blitz stürzte sich Saroya auf ihn, schwang das Beil und versenkte das Metall tief in seinem dicken Hals.
Blut spritzte, als sie die Klinge herauszog, um noch einmal zuzuschlagen. Dann noch einmal. Und ein letztes Mal.
Sie wischte sich mit dem Arm über ihr blutbespritztes Gesicht und wurde nachdenklich. Sterbliche hielten sich für so etwas Besonderes, Erhabenes, aber einen von ihnen zu enthaupten hörte sich genauso an, wie wenn ein Fischverkäufer einem besonders fetten Fang den Kopf abschlug.
Nachdem sie nun den letzten der fünf Diakone erledigt hatte, wandte sich Saroya der einzigen Überlebenden in dem Wohnwagen zu: Ruth, Elizabeths Mutter. Sie kauerte in einer Ecke und betete leise vor sich hin, während sie mit einem Schürhaken herumfuchtelte.
»Ich habe den Geist deiner Tochter bezwungen, Frau. Sie wird niemals zurückkehren«, log Saroya, wohl wissend, dass Elizabeth bald schon einen Weg finden würde, sich aus der Bewusstlosigkeit herauszukämpfen und wieder die Kontrolle über ihren Körper an sich zu reißen.
Von allen Sterblichen, von denen Saroya je Besitz ergriffen hatte, war Elizabeth die Hübscheste, die Jüngste – und die Stärkste. Es fiel Saroya schwer, die Kontrolle zu übernehmen, es sei denn, das Mädchen schlief oder war auf irgendeine andere Weise geschwächt.
So was hatte es noch nie gegeben. Saroya stieß einen Seufzer aus. Elizabeth sollte es als Ehre betrachten, das Gefäß für Saroyas Essenz zu sein, der Tempel aus Fleisch und Blut, der ihren göttlichen Vampirgeist beherbergen durfte.
Saroya blickte an ihrem gestohlenen Körper hinab. Stattdessen musste sie ständig mit Elizabeth um die Herrschaft über diesen Körper kämpfen, sogar jetzt, in diesem Augenblick.
Egal. Nachdem sie sich jahrhundertelang immer wieder mit gebeugten alten Männern und pferdegesichtigen Frauen herumplagen musste, hatte sie mit Elizabeth endlich die ideale Gestalt gefunden. Am Ende würde Saroya doch als Siegerin hervorgehen. Sie besaß die Weisheit einer längst vergangenen Zeit und der Gegenwart, heilige Talente – und einen Verbündeten.
Lothaire den Erzfeind.
Er war ein Vampir, berüchtigt für seine Bösartigkeit, viele Jahrtausende alt und der Sohn eines Königs. Vor einem Jahr hatte ein Orakel ihn zu ihr geführt. Auch wenn Saroya und Lothaire nur eine einzige gemeinsame Nacht im nahe gelegenen Wald verbracht hatten, hatte er sich verpflichtet, sie aus ihrer elenden Existenz zu erlösen.
Auch wenn er nicht über die Fähigkeit verfügte, Saroya ihre göttliche Gestalt zurückzugeben, würde er irgendwie Elizabeths Seele auslöschen und Saroya dann in einen unsterblichen Vampir verwandeln – und damit den Fluch umgehen.
Saroya wusste, dass Lothaire unermüdlich nach Antworten suchen würde.
Weil ich seine Braut bin.
Sie blickte an Elizabeths Mutter vorbei durch ein kleines Fenster. Doch die Winterlandschaft vor dem Wohnwagen war unberührt. Hatte sie gehofft, ein solches Massaker könnte Lothaire anlocken?
Wie lange soll ich denn noch in dieser gottverlassenen Einöde auf ihn warten? Ohne ein Wort?
Er hatte von den unzähligen Widersachern gesprochen, die es auf ihn abgesehen hatten, von uralten Fehden: »Wenn ein Vampir am Format seiner Feinde gemessen werden kann, Göttin, magst du mich als furchterregend betrachten. Und wenn es nach ihrer Anzahl geht? So findest du nicht meinesgleichen.«
Vielleicht hatten seine Feinde obsiegt?
Sie würde nicht länger hierbleiben. Die Familie Peirce hatte angefangen, Elizabeth nachts an ihr Bett anzuketten, und hinderte Saroya auf diese Weise am Töten – ihrem einzigen Lebensinhalt.
Als sie daran dachte, wie sie behandelt worden war,
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