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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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deutschem Fuß betreten. Dort wuchsen einhunderttausend Millionen Kokospalmen. Engelhardt war auf die fast schmerzhafte Schönheit dieser Südmeere gar nicht vorbereitet gewesen; Sonnenstrahlen stießen in leuchtenden Säulen durch die Wolken, des Abends senkte sich friedliche Milde über die Küsten und ihre hintereinander gestaffelten, sich im zuckrigvioletten Licht der Dämmerung ins Unendliche fortsetzenden Bergketten.
    Ein Herr im weißen Tropenanzug und Zwicker näherte sich ihm, einer, der, obgleich leibesvoll, nicht ganz so stumpf zu sein schien wie seine Kollegen, und Engelhardt war augenblicklich von jener fast krankhaften Schüchternheit ergriffen, die stets von ihm Besitz nahm, wenn er auf Menschen traf, die von sich und der Richtigkeit ihres Tuns und Seins vollkommen überzeugt waren. Ob er denn wisse, wie der Lehnstuhl genannt werde, auf dem Engelhardt und die anderen Passagiere die Nachmittage an Deck wegdämmerten? Engelhardt verneinte stumm und senkte den Kopf, um auszudrücken, er wolle sich wieder in den Schlickeysen vertiefen, aber der Pflanzer, der sich jetzt mit einer minuskülen Verbeugung als Herr Hartmut Otto vorstellte, trat nun noch einen Schritt näher, als habe er ein äußerst wichtiges Geheimnis mitzuteilen. Der Deckstuhl werde, Engelhardt solle sich bitte festhalten, aufgrund seiner nach vorne ausschwenkbaren, hölzernen Beinlehnen als bombay fornicator bezeichnet.
    Engelhardt verstand nicht ganz, auch waren ihm Kalauer geschlechtlicher Natur suspekt, hielt er doch den Sexualakt für etwas völlig Natürliches, ganz und gar Gottgegebenes und nicht für einen Teil einer verklemmten, falsch verstandenen Manneszucht. Er unterließ es aber, dies zu sagen, sondern sah den Pflanzer etwas ratlos und prüfend an. Nun war es an Herrn Otto, sozusagen zurückzurudern und mit einer raschen Abfolge von wischenden Handbewegungen seine Geschäfte im Deutschen Schutzgebiet zu deklinieren. Vergessen wir es, sagte er und setzte sich mit Aplomb auf den unteren Teil des Lehnstuhles, dabei seinen von der Luftfeuchtigkeit und der Transpiration etwas naß gewordenen Hemdkragen lockernd. Er sei, berichtete er, während er mit den Fingern die Enden des Schnauzbartes kunstvoll himmelwärts zwirbelte, auf der Jagd nach Paradisaeidae, Paradiesvögeln, für deren Federn in den Salons der Neuen Welt, von New York bis Buenos Aires, derzeit, müsse er wissen, a-s-t-r-o-nomische Preise erzielt würden. Ob die Vögel denn dafür ihr Leben lassen müßten, wollte Engelhardt jetzt wissen, denn er sah, da Otto es sich bequem gemacht hatte, keine Möglichkeiten mehr, Ausweichmanöver in Richtung seines Buches zu unternehmen. Im Idealfalle, notabene, würden die Federn dem Tiere bei lebendigem Leibe entrupft - sicher, es gebe auch Händler, die den Zierschmuck, der den ausgewachsenen Paradiesvögeln vom Hinterteil auf den Dschungelboden gefallen war, lediglich auflesen lassen würden, aber er, Otto, halte nichts von solchen Methoden. Die Federn müßten vielmehr am unteren Ende ihres Kiels, als Qualitätssiegel sozusagen, Blutspuren aufweisen, sonst kaufe er sie erst gar nicht. Engelhardt verzog das Gesicht, ihm wurde leicht mulmig, da läutete auch schon die Mittagsglocke, und Otto faßte ihn sanft und nachdrücklich am Arm, er müsse ihm nun doch bitte die Ehre erweisen, mit ihm zu speisen.
    Hartmut Otto war im eigentlichen Sinne ein moralischer Mensch, auch wenn sein Anstand dem gerade vergangenen Jahrhundert erwachsen war und er wenig Verständnis aufbringen konnte für die nun anbrechende neue Zeit, deren Protagonist August Engelhardt war. Gewiß, der Paradiesvogeljäger hatte fortschrittliche Naturwissenschaftler gelesen, Alfred Rüssel Wallace etwa, Lamarck, Darwin, und diese durchaus mit einer gewissen Akribie, gerade in Hinsicht auf ihre taxonomischen Arbeiten, aber es fehlte ihm nicht nur am Glauben an die Modernität als kumulativer Prozeß, sondern er vermochte auch nicht, einen radikalen Geist (wie Wallace und Darwin es beispielsweise gewesen waren), sollte er ihm denn persönlich begegnen, zufällig, wie jetzt, auf einer Schiffsreise, zu erkennen und zu akzeptieren, schon Engelhardts Vegetarismus war Otto Anathema genug.
    Engelhardt ließ sich widerwillig in den Salon der ersten Klasse zu Tische führen. Dort wurde ihm - man saß auf schweren, neugotischen Stühlen, deren Rückenlehnen mit Roßhaar gefüllt waren, und ließ dabei die Blicke auf goldgerahmten Reproduktionen niederländischer Meister ruhen - auf

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