Imperium
Leuchtkraft strahlen; alle erscheinen so außergewöhnlich sauber, gescheitelt und gebügelt; man gibt ihm aus einer hübschen, sich in der Mitte leicht verjüngenden Glasflasche eine dunkelbraune, zuckrige, überaus wohlschmeckende Flüssigkeit zu trinken; emsige Kampfflugzeuge setzen im Minutentakt auf Landebahnen auf und starten wieder (es lächeln die Piloten, winkend, aus den im Sonnenlicht strahlenden Glaskanzeln); ein Offizier hält sich mit verzückt lauschendem Ausdruck eine kleine perforierte Metallschachtel ans Ohr, aus deren Innerem enigmatische, stark rhythmische, doch überhaupt nicht unangenehm klingende Musik dringt; man kämmt ihm Haare und Bart; zieht ihm ein makellos weißes, baumwollenes, kragenloses Leibchen über den Kopf; schenkt ihm eine Armbanduhr; schlägt ihm aufmunternd auf den Rücken; dies ist nun das Imperium; man serviert ihm ein mit quietschbunten Soßen bestrichenes Würstchen, welches in einem daunenkissenweichen, länglichen Brotbett liegt, infolgedessen Engelhardt zum ersten Mal seit weit über einem halben Jahrhundert ein Stück tierisches Fleisch zu sich nimmt; ein anderer Soldat, der deutschstämmige (schon seine Eltern waren ihrer Herkunftssprache nicht mehr mächtig - sie ist im E Pluribus Unum assimiliert worden) Leutnant Kinnboot, der sich hemdsärmelig und überaus freundlich anschickt, ihm für eine Zeitung gleich Dutzende von Fragen zu stellen, kommt aus dem eifrigen Staunen nicht mehr heraus, da Engelhardt sich nun der über die Jahrzehnte etwas rostig gewordenen englischen Sprache entsinnt und zu erzählen beginnt, erst stockend, dann zunehmend munter, von der Zeit vor dem Weltkrieg, nein, nicht diesem gerade glücklich beendeten, sondern noch von jenem davor. Und Kinnboot, hochgradig gefesselt, eine Zigarette an der anderen anzündend, vergißt, dem bärtigen Greis eine anzubieten, kann sich nur noch am Rande des schon längst vollgeschriebenen Stenoblocks Notizen machen, schüttelt immer wieder ungläubig lächelnd den Kopf und behauptet: sweet bejesus, that’s one heck of a story und: just wait ‘til Hollywood gets wind of this und: you, sir, will be in pictures.
Und tatsächlich wird einige Jahre später vor Publikum, Engelhardt ist nun schon von uns gegangen, getragene, monumentale Musikorchestral aufbranden, der Regisseur ist bei der Premiere in erster Reihe anwesend, er sitzt also da, beißt am Sichelmond des Fingernagels seines kleinen Fingers, zerkaut die scharfen Hornpartikel, es rattert der Projektor, nein, es flirren Hunderte Projektoren und werfen ihre von wild tanzenden Staubpartikeln begleiteten Lichtnadeln auf Hunderte Leinwände, in Cincinnati, Los Angeles, Chicago, Miami, San Francisco, Boston, auf denen sich ein weißes Dampfpostschiff unter langen weißen Wolken durch einen endlosen Ozean begibt. Die Kamera fahrt nah heran, ein Tuten, die Schiffsglocke läutet zu Mittag, und ein dunkelhäutiger Statist (der im Film nicht wieder auftaucht) schreitet sanftfüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem üppigen Frühstück wieder eingeschlafen waren.
Besonderen Dank an Frauke. Und an Rafael Horzon, Tulku Ngawang Gyatso Rinpoche, Dr. Sven Mönter (Universität Auckland) und Prof. Dr. Hermann Joseph Hiery (Universität Bayreuth).
Die Arbeit an diesem Roman wurde freundlicherweise von der schweizerischen Stiftung Pro Helvetia unterstützt.
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