1678 - Das Selbstmord-Haus
Larry Snider sah sie nicht. Sein Blick galt der Brücke, die sich schwach und weit vor ihm abzeichnete. Er sah Teile von ihr auch nur deshalb, weil in ihrer näheren Umgebung zwei Lampen ihr Licht abgaben, das wie ein heller Schimmer leuchtete, als wäre der Rest eines Sternenlichts auf den Boden gesunken. Er ging mit nicht mehr so schnellen Schritten. Es lag nicht daran, weil er über sein Vorhaben nachdachte, um es vielleicht doch nicht auszuführen oder es zu verschieben, nein, daran trug einzig und allein das Gelände Schuld, das bereits jetzt leicht anstieg und später eine hohe Böschung bildete, über die eine Brücke führte. Bilder entstanden vor seinem geistigen Auge. Er sah das dunkle Haus, das schaurige Innere, die Kälte, die unheimlichen Bewacher und die geisterhaften Gestalten, die immer da waren und Menschen wie ihn lockten.
Er hatte es getan.
Er hatte auf die anderen gehört.
Er wusste nicht, wer sie waren. Er hatte sie auch kaum gesehen, sondern mehr gespürt, aber er wusste, dass sie es gut mit ihm meinten. Sie waren seine Führer, seine neuen Freunde, die ihm alles zeigen würden. Dinge, die Menschen sonst nicht zu Gesicht bekamen, die er aber sehen würde. Die neue Welt, die neue Zeit wartete auf ihn. Der alte Tempel war nur eine Zwischenstation gewesen. Das wirklich Neue würde noch kommen.
Er blieb stehen, als er die Brücke sah, die über das Gleis führte. Unter ihr schimmerten die Schienen. Auch jetzt waren sie zu sehen. Sie schienen sogar ein Restlicht abzugeben.
Snider musste auf die Brücke, das war klar. Es gab eine Treppe, die von der Seite her auf die Brücke zuführte. Die Steinstufen waren in die Böschung geschlagen worden. Es gab keine Geländer. Jeder, der die hohen Stufen hochging, musste schon sehr achtgeben.
Das tat auch Snider. Er wollte sich nicht verletzen und bei voller Gesundheit in den Tod springen. Er wusste auch, dass der Zugverkehr in der Nacht reduziert war, aber Güterzüge rollten noch durch die Landschaft, um ihre Waren zu transportieren. Es war nicht einfach, die Stufen hochzusteigen. Larry musste regelrecht kämpfen. Er hörte sich dabei keuchen. Manchmal flimmerte es sogar vor seinen Augen. Er schaffte es.
Die Brücke rückte näher. Ebenso die Straße, die darüber hinwegführte. Mit einem letzten Schritt erreichte Larry Snider sie und blieb zunächst mal stehen. Hier oben war es etwas windiger. Der Schweiß auf seiner Haut trocknete. Er nahm den sommerlichen Geruch währ, den die Wiesen abgaben. Er roch sogar frisches Heu, aber auch dieser Geruch gab ihm die Lust am Leben nicht zurück. Er schaute am Geländer entlang bis zur Mitte der Brücke. Larry musste auch jetzt keine Angst haben, dass ein Auto kam. Um diese Zeit war die Straße so gut wie nicht befahren. Da hatte er die entsprechenden Erkundigungen eingeholt.
Seine Schritte waren schwer. Die Bewegungen glichen denen eines Menschen, der eine schwere Last schleppt. In seiner Umgebung war es still, noch still, aber das würde sich ändern, denn der Zug war immer pünktlich.
In der Brückenmitte blieb er stehen. Er legte seine Hände auf das Gelände und schaute nach vorn und zugleich nach unten auf die Schienen. Er wusste genau, was er tun musste. Wenn er das Licht sah, dann musste er sich bereit machen. Noch hatte er Zeit.
Larry Snider stand da. Er wollte an nichts denken. Aber das war nicht so einfach, denn die Gedanken kamen ihm automatisch. Nur waren es nicht seine eigenen. Er spürte die andere Seite in sich, die ihm nicht unbekannt war. Er hatte sie im Haus erlebt. Da hatten sie den Anstoß gegeben. Da hatten die anderen zu ihm gesprochen, die bereits den Weg gegangen waren.
Freude - nur Freude hatten sie gespürt. Es war so wunderbar, sich dem neuen Leben zu widmen, wo es keinerlei Probleme gab wie in dieser Welt. Die Bankenkrise hatte ihm zwar nicht so sehr zu schaffen gemacht wie anderen Kollegen, denn er war bei seinen Anlagetipps immer vorsichtig gewesen, aber er selbst hatte einiges von seinem Vermögen verloren, was nicht mal seine Frau Helen wusste. Larry schaute nach vorn.
Noch war kein Licht zu sehen. Als er jedoch einen Blick auf die Uhr warf, da war ihm klar, dass es nicht mal mehr eine Minute dauern würde, bis der Zug da sein würde. Und so wartete er auf das Licht.
In seinem Kopf waren Flüsterstimmen zu hören. Ob von Männern oder Frauen gesprochen, war ihm unklar. In der Welt, in die er eintreten würde, gab es diese Unterschiede nicht. Damit rechnete er fest.
Dann sah
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