In allertiefster Wälder Nacht
soll ungezwungen klingen. »Mein Freund und ich hatten einen Autounfall und er ist gestorben. Aber mir geht es gut. Jetzt. Ich meine, es ging … es geht.«
Ich strecke mein Rückgrat ein wenig und versuche, mir vorzustellen, dass meine Augen zu Stein werden, damit ich seinen Gesichtsausdruck nicht wirklich sehen kann. Noch ein Krankenhaustrick. Ich wünschte, er würde aufhören, mich so anzugucken.
Im Kopf lasse ich die Regeln normaler sozialer Interaktion durchlaufen und frage im überenthusiastischen Ton meiner Mutter: »Und was führt dich in diese Gegend?« Wie du mir, so ich dir. Wir könnten Konversationspingpong spielen. Kleinhandel mit Informationen treiben – dies über mich gegen das über dich. Die üblichen Geschichten, die man austauscht, um vorgeben zu können, einander tatsächlich zu kennen. Nur, was hat das für einen Sinn? Es hat keinen.
Ich schlucke, hab das Gefühl zu ersticken, huste und nehme einen Schluck Wasser, atme.
Cal sitzt schweigend da, lehnt sich ein wenig vor. Die Unterarme auf den Knien, hält er sein Wasserglas fest, schaut mich an, wartet, scheint mehr hören zu wollen. Als ob ich ihm mehr erzählen würde.
Ich reibe die klammen Hände an den Beinen. Mein aufgeschürftes Knie klebt an den Jeans. Der Teil von mir, der gedacht hat, ich könnte ihm Fragen stellen, ein Gespräch mit ihm führen, ist schon lange nicht mehr vorhanden. Eigentlich ist es mir ganz egal, warum er hier oben ist. Ich will nur, dass er abhaut, mich in Ruhe lässt.
Dann, obwohl mein Herz sich aufführt wie ein durchgegangenes Pony, funktioniert mein Trick, Gott sei Dank. Ich werde hart. Ruhig. Cool. Als ob ich hinter eine Friedhofsmauer geschlüpft wäre. Ich spüre, wie es passiert. Ich bin ein kaltes, aus Stein gehauenes Ding. Ein Mensch, der die Fassung behält.
»Das ist alles«, sage ich. So wie in: Das war alles, Leute. Ende. Denn so ist es. Da bin ich, nur noch ich.
Er guckt mich immer noch an, als würde er denken, er könne mich vielleicht halten oder so was, Zugang zu mir bekommen, aber ich betrachte ihn durch einen unglaublich langen Tunnel. Winzig … wie durch ein umgedrehtes Fernglas. Er ist weit weg. Unbedeutend. Wie ernst er mich ansieht, hat fast schon etwas Komisches.
Ich bin ruhig, ein steinernes Mädchen.
Er stößt einen langen Atemzug aus. »Wren, es tut mir leid.«
Egal. Worte. Nur Worte. Ohne Bedeutung.
Cals Augen ruhen auf mir, als befürchte er, mich zu verschrecken, wenn er sich rühren würde.
Eine Sekunde lang zoomt er näher heran in meinen Fokus, und ich sehe sein offenes Gesicht direkt vor mir, freundlich und schön. Wie ein Mensch, der immer noch etwas will.
Ich stoße ihn wieder weg.
»Danke, dass du nach mir geschaut hast. Es geht mir gut.«
Ich klettere von der Sessellehne und verlasse den Raum. Eine Weile später höre ich, wie die Haustür geschlossen wird und sein Auto wegfährt.
Wenn du’s mir erzählen kannst, bist du okay
Wenn man weit genug aus seinem Leben rausrutscht, läuft die Zeit schneller. In Wellen statt Grad für Grad. Ein Monat zieht vorbei, dann noch einer.
Der Winter kommt. Die Bäume biegen sich unter dem Schnee. Eiszapfen baumeln von Dachrinnen und Ästen.
Das Telefon weckt mich. Mein täglicher Wecker. Das, oder Tränen, die sich in meinen Ohren gesammelt haben und dort abgekühlt sind. Offenbar hat sich irgendeine Schleuse geöffnet und sie wollen gar nicht mehr aufhören zu fließen. Nicht mal im Schlaf.
»Mamie«, sagte meine Mutter, während ich versuche, wach zu werden. »Ich kann dieses Wochenende nicht kommen. Nicht bei diesem Sturm. Auf den Straßen liegt zu viel Schnee.«
Ich gähne und bemühe mich, enttäuscht zu klingen.
»Nicht so schlimm, Mom. Dad hat die Reise nach London abgesagt, er ist also hier am Wochenende.«
Wäre das gemütlich gewesen. Wir drei. Eingeschneit.
Wir treffen uns zu dritt, wenn es nicht anders geht, aber Mom ist immer eisig, und Dad wirkt gequält, und dann sitzen wir da, alle unglücklich. Nur ein paar Minuten kann ich das aushalten, dann möchte ich mich von beiden scheiden lassen. Aber kurz nach dem Unfall, als ich aufgehört hatte zu sprechen, war es noch schlimmer. Ich würde einen Mord begehen für einen Bruder oder eine Schwester, die den Kopf hinhalten könnten.
»Und da hab ich gedacht, du könntest vielleicht mit dem Zug in die Stadt kommen«, sagt sie.
Kommt nicht infrage.
»Mom, das kann ich nicht. Ist schon gut. Schließlich redest du ja jeden Tag mit mir. Du kannst ja im
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