In allertiefster Wälder Nacht
unbehaglich zu sein – das ist selten. Er lässt die zeltartige Decke auf sich wirken und den ramponierten, gebleichten Dielenboden.
»Und bei vielen Details hat er deinem Dad Mitspracherecht gegeben, dieses Haus fühlt sich urwüchsiger, organischer an als die meisten anderen seiner Entwürfe. Ich glaube, hier haben sie zusammengearbeitet.«
»Urwüchsig und organisch«, sage ich. »So ist mein Dad. Eine Naturgewalt.« Aber er mischt sich nicht in das Leben anderer ein wie meine Mutter. Er versucht nie, mich dazu zu bringen, irgendwas zu tun oder mein Wesen zu verändern.
Cal behält mich im Auge, auf diese ruhige, gelassene Art, die mich dazu veranlasst, auf dem Stuhl herumzurutschen und mehr zu reden, als ich will.
»Lebst du bei ihm? Bei deinem Vater?«, frag ich. Blöde Frage, ganz offensichtlich ist er älter als ich. Ausgeschlossen, dass er noch bei seinen Eltern wohnt.
Ein Mundwinkel geht hoch. Ich fühl mich taxiert und für zu jung befunden. »Nein. Mein Vater ist in Montreal. Er arbeitet kaum noch. Hin und wieder entwirft er mal ein Haus.«
»Und deine Mutter?«
»Tot.«
Ich kann nicht gewinnen. Ich sollte es nicht mal versuchen.
»Oh. Tut mir leid«, sage ich. »Das mit deiner Mutter.«
Die Worte fühlen sich fremd an in meinem Mund. Unzureichend.
Er zuckt mit den Schultern. »Ist schon lange her.«
Ich nicke langsam. Versuche, nicht so nervös und idiotisch zu wirken, wie ich mich fühle, ganz so, als würde ich nicht die Sekunden zählen, bis ich mich endlich wieder in meinem Zimmer verstecken kann.
»Mein Dad hat wieder geheiratet. Sie sind nach Montreal gezogen. Uns haben sie ins Internat geschickt. Meinen kleinen Bruder und mich. Das Haus hier oben ist so eine Art Familienhaus, für Ferien und Feiertage.«
Wir sitzen schweigend da. Langsam werde ich gut darin. Seine Augen sind schieferblau – wie sein Hemd. Er sieht mich an, als könnte er direkt in mich hineinschauen, als wollte er mit der Hand hineingleiten und alles entriegeln.
Ich muss weggucken.
Mein Nacken verspannt sich, der Hals tut weh. So hat Patrick mich angesehen, als wir gerade erst zusammen waren. Ich schlucke heftig.
»Mir geht’s gut«, sage ich zum tausendsten Mal, obwohl er nicht gefragt hat. Das liegt an dem forschenden Blick, mit dem er mir ins Gesicht sieht. Da krieg ich das Gefühl, ich müsste was sagen.
»Ich war aufgewühlt, vorhin. Aber jetzt geht es mir gut. Und es hatte nichts mit deinem Auto oder mit meinem Rad zu tun. Ich bin nicht verletzt. Du hast mich nicht verletzt.«
Die Worte kommen im Schwall. Er hört zu, als würde ich etwas Interessantes sagen, so wie schon den ganzen Abend.
»Was hast du für eine Krankheit?«, frage ich. Ein brutales Ablenkungsmanöver. Ich tu alles, um nicht mehr im Fokus zu stehen.
Das überrascht ihn. Seine Haltung verändert sich, bekommt etwas Starres. Ein finsterer Blick streift die Krücken.
»Ich hab MS .«
Pure Wut zuckt wie ein Blitz über sein Gesicht.
Ich blinzele. Schweigen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Er guckt zur Decke, dann wieder zu mir. Schiebt die Haare mit einer Hand zurück, zuckt mit den Schultern. »Wahrscheinlich hätte ich mich an dem Tag nicht ans Steuer setzen dürfen. Ich bin zu schnell gefahren. Hab Dampf abgelassen.«
»Oh, das ist in Ordnung«, sage ich, peinlich berührt. Dämlich, einfach nur dämlich. Er schaut sich kurz im Raum um und dann, gequält, guckt er mich wieder an.
»Du hast keine Ahnung, wie schlecht ich mich deswegen fühle. Ich musste mich einfach nach dir erkundigen. Und dann klangst du so furchtbar am Telefon. Ich wusste, dass du allein warst, dass dein Dad in Europa ist.«
Erwischt. Ich zucke mit den Schultern. Was will er hören? Dass ich es gebraucht habe, dass er nach mir sieht? Dass ein neuer Freund eigentlich alles ist, was mir fehlt, und dass damit alles in Butter wäre? Oder vielleicht sollte ich mich an die Wahrheit halten. Ihm sagen, dass ich will, dass er abhaut, dass ich verdammt noch mal allein sein will.
»Ich hab Gerüchte gehört, warum du hier hochgekommen bist. Ich hätte nicht vorbeikommen sollen.«
Na klar. Gerüchte. Er hat Gerüchte gehört.
Ich stehe auf. Vielleicht versteht er den Wink und geht.
Tut er nicht. Ist unangenehm, so zu stehen. Weiß nicht, was ich mit meinen Armen machen soll.
»Kann ich dir was zu trinken anbieten?«, frage ich schließlich. »Mein Dad hat ein paar Bier im Kühlschrank. Oder Selters? Limo? Wie wär’s mit Tee? Ich könnte Tee kochen.«
Ich
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