In Blut geschrieben
und Wärme in der Gegenwart des anderen fand. Was sie am stärksten verband, war das Schweigen. Ein Schweigen, das mehr sagte als tausend Worte. Ihrer beider Einsamkeit berührte sich ungeschickt, und hinter ihnen auf dem Boden tanzten ihre Schatten und formten sich so, als würden sie sich bei der Hand fassen.
Brolin zog das Pwen aus der Tasche, das Mae Zappe ihm anvertraut hatte.
»Gib das bitte deiner Großmutter zurück und richte ihr meinen Dank aus.«
»Ich denke, sie möchte, dass du es behältst.«
Annabel konnte in Brolins Lächeln keine echte Freude entdecken.
»Ich fahre nach Hause, dort habe ich keine Geister zu fürchten«, sagte er sanft.
Die Perlen klirrten in Annabels Hand.
»Ich bin froh, dich kennen gelernt zu haben. Vielleicht können wir wieder einmal im Mondschein zusammen ein Bier am Strand trinken – unter anderen Umständen.«
»Das wünsche ich mir auch.«
Er strich ihr freundschaftlich und zugleich zärtlich über die Schulter. Sie senkte den Blick.
Als sie wieder aufsah, war er verschwunden.
Sie fragte sich, ob sie nicht alles nur geträumt hatte – seine flüchtige Gegenwart, seine betörende Ausstrahlung. Er hatte sicher Recht: Bei sich zu Hause hatte er keine Geister zu fürchten. Angst kennen nur die Lebenden.
Phantome untereinander kennen keine Furcht. Joshua Brolin überblickte die riesige Halle mit den Hunderten von Passagieren, deren Augen auf die Abflugtafeln gerichtet waren.
Er hatte sich unter so vielen Menschen noch nie derart allein gefühlt.
Vielleicht befand sich in dieser Menge das zukünftige Opfer eines weiteren Monsters. Vielleicht verbarg sich dieses Monster sogar hier hinter einer Zeitung. Wie viele Calibans gab es noch?
Und Annabel? Bei der Vorstellung, sie nie wiederzusehen, verspürte er einen Stich im Herzen. Er musste sich damit abfinden. Er ahnte nicht, dass sich ihre Wege viel früher wieder kreuzen sollten, als sie es sich vorstellen konnten. Zu einer ganz anderen Geschichte – an den Grenzen des Möglichen –, der letzten.
Ein kleines Mädchen lag auf zwei Sitzen ausgestreckt und betrachtete den Himmel, der sich langsam verdunkelte. Brolin beobachtete die Kleine voller Mitgefühl. Mitgefühl wegen der Unsicherheit ihrer Existenz, wegen des Alters, einfach deshalb, weil auch sie sterblich war.
Er wandte den Blick ab und sah jenseits der Rollbahnen die Lichter der Stadt, Splitter der Zivilisation. Jedes Licht stand für ein anonymes Leben. All diese Menschen, all die Quellen der Freude, der Tränen und des Todes. Sein Magen krampfte sich zusammen, ein diffuses Gefühl von Angst überkam ihn, ein steriles Unwohlsein. Während Brolin in der Einsamkeit des abendlichen Flughafens an all das dachte, wurde ihm schwer ums Herz, und er sagte sich, dass menschliche Hellsichtigkeit zwangsläufig mit Schwermut einherging.
Als er im Flugzeug saß, das ihn wieder in seine vertraute Umgebung zurückbringen würde, ergab er sich seiner Melancholie, denn es war sinnlos, dagegen anzukämpfen.
Den Blick aus dem Fenster gerichtet, atmete er tief durch. Auf der Rollbahn sah er einen Techniker, der vom Flugzeug zurücktrat, und er fragte sich, welches Leben er wohl führte, unter welchem Schmerz er litt. Er wandte den Kopf und betrachtete einen alten Mann in der Nebenreihe. Und sein Leben, wie mochte es sein? Und das der Frau dort hinten oder dieser da vorne?
Als die Maschine abgehoben hatte, blickte Brolin hinab auf die Erde, über die sich die ersten Schleier der Dunkelheit legten.
Seine Verzweiflung ließ ein wenig nach.
Am Horizont noch ein Hauch von Röte der längst untergegangenen Sonne.
Dann senkte sich die Nacht über die Landschaft.
Danksagung
Bei der Arbeit an diesem Roman haben mich mehrere Personen unterstützt: natürlich meine Familie und meine Freunde, vor allem aber Claire, die den Leser durch ihre Kritik vor meinen Exzessen bewahrt hat. Claire empfahl mir, besonders auf Realitätsnähe zu achten, und ich weiß, dass sie erst dann für all ihre Mühen entschädigt sein wird, wenn ich eines Tages eine wunderschöne Liebesgeschichte schreibe. Ich denke darüber nach …
Dieses Buch wäre ein anderes geworden ohne Sébastien, meinen Schatten in Brooklyn, der mich während unserer langen Streifzüge durch die Stadt auf so manchen Einfall gebracht hat und der bereit war, jedes Risiko auf sich zu nehmen, um Fotos von unseren Erkundungen zu machen. Ihm sei gedankt dafür. Mein Dank gilt ebenso Frédéric, meinem »Bilderbuch«-Lektor, der mir
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