In Den Armen Des Schicksals
Wasser ist. Da hatte es einen eiskalten Tümpel gegeben, gar nicht weit entfernt von dem großen Wohnwagen im ländlichen Florida, wo sie aufgewachsen war. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie das kalte Wasser in die Haut stach und wie einem als Kind die Luft wegblieb. Aber sie erinnerte sich auch daran, dass man dann irgendwann wieder atmen konnte. Jetzt allerdings glaubte sie nicht, dass ihre Lungen je wieder Luft würden aufnehmen können.
Ihr schien, dass sie seit Stunden versuchte, ans Ufer zurückzukommen. Sie konnte auch nicht sagen, wie sie so weit auf den See hinausgetrieben war. Sie hatte einen Hund verzweifelt im Wasser paddeln sehen und war hineingesprungen, um dem Tier zu Hilfe zu kommen. Der typische Billie-Harper-Impuls. Sie war untergetaucht, bevor sie noch richtig hatte Luft holen können, und jetzt, ganz gleich, wie sehr sie sich anstrengte, schien sie nicht mehr an ihren Ausgangspunkt zurückgelangen zu können.
Der Teil ihres Verstandes, der noch arbeitete, war erstaunt über den anderen Teil, der die Funktionen eingestellt hatte. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein, und selbst die Panik, die sie mit der Wucht einer Kanonenkugel getroffen hatte, schwand mehr und mehr. Natürlich kämpfte sie noch, aber sie war lange nicht mehr so entschlossen zu gewinnen. Vermutlich gab es schlimmere Schicksale für die Tochter eines Altwarenhändlers ohne Bankkonto, als in einem See in den schottischen Highlands ihr Ende zu finden, nur einen Steinwurf entfernt von der Ruine eines mittelalterlichen Schlosses. Selbst in ihren Kinderträumereien war ihr nie ein besseres Ende eingefallen.
Hoffentlich fand das Eingang in ihren Nachruf.
Doch das war nicht ihr letzter Gedanke. Während ihr Verstand sich mehr und mehr verdunkelte, meinte sie, Wasser aufspritzen zu hören. Vielleicht waren es ja nur ihre eigenen Arme, mit denen sie hilflos herumwedelte. Sie wusste es wirklich nicht. Alles kam langsam zum Stillstand. Ihr Geist, ihr Wille, selbst das Schlagen ihres Herzens. Das Wasser umschmeichelte sie sanft, wie ein Freund. Es wäre ein Leichtes, jetzt einfach aufzugeben, nur … sie war nun mal eine Kämpfernatur. Sie liebte es einfach zu kämpfen. Bis zum letzten Jahr hatte es eigentlich wenig im Leben gegeben, das sie nicht geliebt hatte.
Also wedelte sie noch einmal mit den Armen, und dieses Mal traf sie auf etwas Festes. Einen Moment lang flammte wilde Hoffnung in ihr auf. Vielleicht hatte sie ja das Ufer erreicht und war mit dem Arm gegen einen Baumstamm oder einen Felsen geschlagen. Doch ein letzter Blick sagte ihr, dass sie dafür viel zu weit vom Ufer entfernt war.
So fragte sie sich, ob das Ungeheuer sie vielleicht gefunden hatte. Falls ja, würde sich das noch viel besser im Nachruf machen. Ein letztes Mal hob sie die Arme, dann ergab sie sich mit einem Seufzer.
Eine Frau.
Es war Iain in dem Moment klar geworden, als er die Arme um den Ertrinkenden schlang. Doch es blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Er hatte von Anfang an gewusst, dass ihm nur Minuten blieben, falls überhaupt, um eine Rettungsaktion erfolgreich zu vollenden. Er musste ins Wasser, sich den Jungen schnappen und ihn sofort aus dem Wasser ziehen. Doch beim ersten Aufschlag ins Wasser hatte er wertvolle Augenblicke verschwendet, weil er sich schlicht nicht hatte bewegen können.
Dennoch hatte er sich bewegt. Nachdem der erste Schock abgeklungen war, hatte er jeden Gedanken aus seinem Kopf verbannt und war auf die Stelle zugeschwommen, wo der Junge sein musste. Da gab es kleine Ringe, und ab und zu hob sich auch ein Arm. Er war gerade rechtzeitig dort angekommen und hatte den Jungen gepackt, bevor er unterging.
Nur … der Junge war gar kein Junge.
In seinem ganzen Leben war Iain noch nie so kalt gewesen. Er sah zu dem Körper am Ufer hinüber, nur wenige Meter von der Stelle entfernt, von der aus er ins Wasser gesprungen war, und ihm wurde klar, dass er eine erwachsene Frau gerettet hatte. Sie war schlank und ihr Haar kürzer als seines, aber sie war zweifelsohne eine Frau. Ihr Busen zeichnete sich unter der nassen Wolle ab, er hatte die weichen Rundungen auch an seinem Arm gespürt, und sie hatte die längsten Wimpern, die ihm je untergekommen waren.
Auch die blasseste Haut.
Das machte die Vorstellung einer notwendigen Mund-zu-Mund-Beatmung nicht eben leichter, zumal er selbst noch um jeden Atemzug rang. Er kniete sich neben sie und drehte sie auf die Seite. Fest drückte er seinen Handballen rhythmisch in ihren
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