In den Klauen des Bösen
doch Schrecken hätten einjagen müssen, sie auf seltsame Weise getröstet.
Der Teufel - das war, wie man Amelie gelehrt hatte, der Schwarze Mann. Auch jetzt, in der Stille nach dem unheimlichen Heulen, konnte sie ihre Mutter hören: »Er is’ drauß’n im Moor, Amelie. Er nimmt sie sich, wenn sie Babys sind und verhext sie. Bleib im Haus, hörst du? Geh nich’ nach draußen, sonst nimmt er dich auch!«
Doch Amelie glaubte nicht länger an den Schwarzen Mann. Sie wusste, dass er gar nicht der Teufel war.
Er war Dr. Phillips.
In jener Nacht, als sie das Gespräche zwischen Clarey Lambert und Michael Sheffield und Kelly Anderson belauschte, hatte sie erfahren, was mit ihrem Baby geschah. Dr. Phillips hatte ihren Sohn aus dem gleichen Grund weggenommen wie die anderen auch.
Doch Amelie ahnte, was die Kinder in dieser Nacht dagegen unternehmen würden, und wartete in der Stille, bis sie in der Ferne das Tuckern eines Außenbordmotors vernahm. Sie strengte die Augen an, als aus einem engen Bayou ein Boot auftauchte.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als das Boot gegen die verfaulenden Pfähle stieß, die ihre Hütte trugen, und Michael Sheffield ausstieg.
Er nahm ihren winzigen Kleinen in einer blauen Decke aus Lavinia Carters Armen und reichte ihn Amelie. »Wir bringen ihn heim«, sagte Michael, als Amelie ihr Kind entgegennahm. Ihr traten die Tränen in die Augen. »Geht’s ihm auch gut?« fragte sie mit erstickter Stimme.
Von der Mitte des Boots, wo sie neben ihrer Schwester Kelly saß, die schützend den Arm um sie gelegt hatte, antwortete Jenny Sheffield: »Ihm geht’s gut«, sagte sie. »Er ist ein braves Baby. Bis heute abend hat er nicht einmal geweint.«
Amelie stockte der Atem. Ihr Blick wanderte zu Lavinia Carter. »Du hast nach ihm geschaut?«
Lavinia nickte schweigend, und ihr Gesicht spiegelte das Elend, das sie wegen der Dienste empfand, die sie dem Schwarzen Mann hatte leisten müssen.
Amelie zögerte kurz, bevor sie weitersprach. »Dann bleibst du am best’n bei mir«, schlug sie vor. »Hier ist’s einsam, und ich weiß doch nich’, wie ich mit ihm umgeh’n soll.«
Lavinia strahlte. Sie ergriff freudig Amelies ausgestreckte Hand. Und als das Boot sich von Amelie Coultons kleiner Hütte entfernte, bewegten sich ihre Lippen und formten Worte, die sie aber nie würde aussprechen können.
»Danke schön...«
Michael und Kelly, die ihre kleine Schwester umarmt hielt, winkten, als sie in der Nacht verschwanden.
Barbara Sheffield stand schweigend am Dock. Craig hatte den Arm um sie gelegt. Wenige Schritte entfernt lagen sich Ted und Mary Andersen in den Armen.
Beide Ehepaare warteten in der Stille, die sich über das Moor gesenkt hatte.
Nun waren sie endlich allein. Tim Kitteridge und all die anderen Menschen, die sich bei Phil Stubbs eingefunden hatten, waren seit einer halben Stunde fort, auf der Suche nach der Herkunft der unheimlichen Schreie, die ihnen Schrecken eingejagt hatten.
Sie hatten weder gewusst, wonach sie da eigentlich suchten, noch wo sie es finden könnten. Nur eines waren sie sich gewiss gewesen: In dieser Nacht hatte etwas Böses, vor dem alle sich fürchteten, sein Ende gefunden.
Aber die Andersons und die Sheffields hatten sie nicht begleiten wollen.
»Sie kommen hierher zurück«, hatte Barbara gemeint und damit für alle gesprochen. »Ich weiß, dass unsere Kinder hierher zurückkommen werden, und wir möchten hier auf sie warten.«
Jetzt, endlich, hörten sie ein Boot näherkommen. Sie hielten den Atem an.
Zuerst war es nur ein Schatten, der sich über die Lagune bewegte, eine dunkle Form, die in der Nacht kaum zu erkennen war.
Sie begann Gestalt anzunehmen, trat schließlich heraus aus der Dunkelheit in das glänzende Mondlicht, und sie erkannten sofort die drei Kinder im Boot.
Ihre Kinder.
Doch als das Boot näherkam, spürten beide Elternpaare die Veränderung, die mit ihren Kindern vorgegangen war.
Auf irgendeine unerklärliche Weise waren Michael und Kelly nicht mehr dieselben wie noch am Morgen.
Es war, als ob sie, so wie das Boot, in dem sie kamen, aus dem Dunkel ins Leben herausträten.
Als Mary Anderson und Barbara Sheffield ihre Kinder in die Arme nahmen, hörten sie sie zum erstenmal im Leben weinen.
Und die Tränen der Kinder erfüllten ihre Herzen mit Freude.
EPILOG
Auf der Insel am äußersten Ende des Moores erloschen die letzten Kerzen auf dem Altar, begannen die letzten Puppen zu weinen.
Clarey Lambert behielt sie einen
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