In einem Boot (German Edition)
wild entschlossen, uns zu retten, und er zog innerhalb kürzester Zeit eine Linie zwischen jenen, die würdig waren, unter seine Fittiche genommen zu werden, und denen, die draußen bleiben mussten. Wir anderen brauchten länger, um diese Unterscheidung zu machen. In den ersten Tagen fühlte ich mich innerlich den Passagieren der ersten Klasse, in deren Gesellschaft ich die Reise auf der Zarin Alexandra verbracht hatte, näher als den Menschen im Rettungsboot Nr. 14. Und wer wollte es mir verübeln? Trotz der Schwierigkeiten, die mich in den letzten Jahren befallen hatten, war ich an Luxus gewöhnt. Henry hatte über fünfhundert Dollar für die Passage bezahlt, und ich sah mich immer noch in Gedanken im Triumph in meiner Heimatstadt einlaufen, nicht als das mittellose Opfer eines Schiffbruchs und nicht als die Tochter eines gescheiterten Kaufmanns, sondern als Ehrengast einer Willkommensfeier, gekleidet in eine Seidenrobe und angetan mit den Juwelen, die jetzt auf dem schlammigen Grund des Meeres ruhen. Ich malte mir aus, wie mich Henry seiner Mutter vorstellen würde, deren distanzierte Haltung dank meines Charmes und dem Umstand, dass an unserer Eheschließung nicht mehr zu rütteln war, dahinschmolz. Und ich stellte mir vor, wie die Männer, die meinen Vater betrogen hatten, von aller Welt öffentlich geschnitten wurden.
Hardie dagegen fand sich sofort in der neuen, schwierigen Situation zurecht. Ob das für oder gegen ihn sprach, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich vermute, es lag an seiner Matrosenseele und daran, dass er schon vor langer Zeit seine zarteren Gefühle abgelegt hatte, sollte er jemals über dergleichen verfügt haben. Er hatte sich ein Messer um die Taille gegürtet und seine verlorene Mütze durch einen Lumpen ersetzt, der so gar nicht zu den Goldknöpfen seiner Uniformjacke passte. Aber diese äußerlichen Veränderungen schienen Ausdruck für seine Bereitschaft zu sein, sich anzupassen, und ich vertraute ihm deswegen umso mehr. Als ich mich schließlich irgendwann nach anderen Rettungsbooten umschaute, waren nur noch weit entfernte Punkte am Horizont zu sehen. Mir erschien das als ein gutes Zeichen, war doch die offene See ein Ort relativer Sicherheit nach dem Chaos und dem Tumult rings um das sinkende Schiff.
Mr Hardie gab den schwächsten Frauen die besten Plätze, und er sprach uns alle mit »Ma’am« an. Er erkundigte sich nach unserem Wohlbefinden, als ob es irgendetwas gegeben hätte, was er für uns hätte tun können. Anfangs spielten die Damen mit und erwiderten, es ginge ihnen gut, was eine glatte Lüge war. Jeder konnte sehen, dass Mrs Flemings Hand in einem merkwürdigen Winkel abstand und dass eine spanische Gouvernante namens Maria einen schweren Schock erlitten hatte. Es war Mrs Grant, die eine Schlinge für Mrs Flemings Arm knotete, und es war Mrs Grant, die als Erste offen die Frage äußerte, wie Hardie überhaupt in unser Rettungsboot gekommen war. Später fanden wir heraus, dass entsprechend den Notfallplänen ein ausgebildeter Seemann für jedes Rettungsboot vorgesehen war; allerdings waren Captain Sutter und der Großteil der Mannschaft an Bord der Zarin Alexandra geblieben, hatten den Passagieren in die Rettungsboote geholfen und versucht, die Ordnung wiederherzustellen, nachdem die Menschen in Panik geraten waren. Wir hatten von unserem Boot aus mit eigenen Augen gesehen, mit welch verzweifelter Hast die Matrosen und Passagiere sich gemeinsam bemühten, die Rettungsboote zu Wasser zu lassen. Das Schiff neigte sich bereits stark zur Seite, die Ladung war verrutscht, und als unser Rettungsboot nach unten gelassen wurde, hingen die Seile schräg nach unten statt gerade. Die kleinen Boote waren in ständiger Gefahr, gegen den schief gelegten Rumpf des Schiffs zu prallen oder sich an irgendeinem Hindernis zu verfangen, und die Männer, die an den Winden arbeiteten, hatten alle Hände voll zu tun, die vorderen und hinteren Teile gleichzeitig abzulassen. Direkt nach uns kam ein Boot nach unten, das sich umdrehte und seine gesamte Ladung ins Meer kippte. Wir sahen Frauen und Kinder mit wedelnden Armen schreiend ins Wasser fallen, aber wir unternahmen nichts, um ihnen zu helfen. Und ohne Hardie, der uns anführte und uns sagte, was wir zu tun hatten, hätte uns mit großer Wahrscheinlichkeit das gleiche Schicksal erwartet. Nach allem, was geschehen ist, bin ich nun in der Lage, mir meine Frage selbst zu beantworten: Wenn Mr Hardie die Menschen nicht von unserem Boot
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