In eisige Höhen
noch verbliebene, über allem anderen stehende irdische Reiseziel für Forschung und Abenteuer, den höchsten Punkt der Erde erreicht hatte...
Jene Stunde setzte unter den Briten ein ganzes Orchester an überschwenglichen Gefühlen frei – Stolz, Vaterlandsliebe, Nostalgie für die verlorene Vergangenheit des Krieges und der Verwegenheit und die Hoffnung auf eine verjüngende Zukunft... Menschen, die das miterlebten, erinnern sich bis heute lebhaft an den Moment, wie sie, als sie an einem nieselnden Junimorgen in London daraufwarteten, daß der Krönungszug an ihnen vorbeizog, die magische Meldung hörten, daß der Gipfel der Welt sozusagen ihnen gehörte.
Tenzing wurde in ganz Indien, Nepal und Tibet – alle diese Länder reklamierten ihn für sich – zum Nationalhelden erklärt. Von der Queen geadelt, sah Sir Edmund Hillary sein Konterfei auf Briefmarken, in Comicserien, Büchern, Filmen und auf den Titelseiten von Zeitschriften reproduziert – der Bienenzüchter aus Auckland mit dem Adlergesicht war über Nacht zu einem der berühmtesten Männer der Welt geworden.
Hillary und Tenzing bestiegen den Everest einen Monat vor meiner Geburt. Ich konnte folglich nicht an dem kollektiven Freudentaumel aus Stolz und Staunen über ein Wunder teilnehmen. Einer meiner Freunde älteren Jahrgangs verglich die das Innerste der Menschen treffende Wirkung dieses Ereignisses mit der ersten bemannten Mondlandung. Eine weitere Besteigung des Berges sollte jedoch ein Jahrzehnt später meinen Lebensweg entscheidend beeinflussen.
Am 22. Mai 1963 stießen Tom Hornbein, ein zweiunddreißigjähriger Arzt aus Missouri, und Willi Unsoeld, sechsunddreißig und Professor der Theologie aus Oregon, zur Spitze des Everest vor, und zwar über den beängstigend schwierigen Westgrat des Gipfels, der bis dahin unbestiegen war. Damals war der Gipfel bereits viermal von insgesamt elf Männern bezwungen worden. Aber der Westgrat war um einiges schwieriger als die beiden zuvor begangenen Routen: der Südsattel und der Südostgrat oder der Nordsattel und der Nordostgrat. Hornbeins und Unsoelds Besteigung wurde – und wird immer noch – verdientermaßen als eine der Glanzleistungen in der Geschichte des Bergsteigens gerühmt.
Am frühen Abend ihres Gipfelanstiegs erklommen die beiden Amerikaner eine steile, bröckelige Gesteinsschicht – das berüchtigte Gelbe Band. Diese Felswand zu überwinden verlangte ungeheuer viel Kraft und Können. Bisher war in dermaßen extremen Höhenlagen nichts mit vergleichbarer großer technischer Herausforderung gemeistert worden. Als sie schließlich oben auf dem Gelben Band standen, bezweifelten Hornbein und Unsoeld, ob ihnen der Abstieg gelingen würde. Ihre beste Chance, um lebend von dem Berg wieder runterzukommen, war, über den Gipfel zu steigen und den bereits gut ausgekundschafteten Südostgrat hinunterzuklettern –ein äußerst kühnes Vorhaben, in Anbetracht der späten Stunde, des unbekannten Terrains und des im Schwinden begriffenen Vorrats ihrer Sauerstoff-Flaschen.
Hornbein und Unsoeld erreichten den Gipfel erst um 18 Uhr 15, als die Sonne gerade unterging, und mußten daher in einer Höhenlage von über 8534 Metern eine Nacht im Freien verbringen – damals das höchstgelegene Biwak der Geschichte. Es war eine klirrend kalte Nacht, glücklicherweise jedoch windstill. Obwohl Unsoeld Erfrierungen an den Zehen erlitt und diese später amputiert werden mußten, überlebten beide Männer und konnten ihre unglaubliche Geschichte erzählen.
Ich war damals neun Jahre alt und lebte in Corvallis, Oregon, wo auch Willi Unsoeld sich niedergelassen hatte. Er war ein guter Freund meines Vaters, und ich spielte manchmal mit
Unsoelds Kindern – Regon, der ein Jahr älter war als ich, und der achtjährigen Devi. Ein paar Monate bevor Unsoeld nach Nepal aufbrach, erklomm ich zusammen mit meinem Vater, Willi und Regon den Gipfel meines ersten Berges – ein wenig aufsehenerregender 2750 Meter hoher Vulkan in der Cascade Range, dessen Krater heute mit einer Gondelbahn zu erreichen ist. Es ist also kaum verwunderlich, daß die Erzählungen der Heldensaga von 1963 auf dem Everest meine präpubertäre Phantasie lange beschäftigen. Während meine Freunde John Glenn, Sandy Koufax und Johnny Unitas zu ihren Idolen erkoren, waren meine Vorbilder Hornbein und Unsoeld.
Heimlich träumte ich davon, den Everest selbst eines Tages zu besteigen. Das Verlangen blieb über ein Jahrzehnt in mir wach. Später, als ich Anfang
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