In unsern Traeumen weihnachtet es schon
gehört. In der zweiten Nachthälfte begann es zu schneien, und am Morgen des ersten Weihnachtstages hatten wir prachtvollen Schlittenschnee, aber unsere Ponys hatten wir nicht. Der Schnee tröstete mich; nun würde ich die Spuren der Shetländer finden, aber soviel ich auch suchte und suchte, ich fand keine Spuren.
Gegen Mittag knatterte ein Motorrad heran. Ein vermummter Mann trat in die Küche. Er redete schnell und dadurch viel, und nach einer langen Einleitung fragte er, ob wir Ponys vermissten. – Ja, wir vermissten Ponys, ja, ja!
»Wie groß?«
Wir legten die Hände auf den Küchentisch. »So hoch.«
Gut, aber da wäre noch was.
»Ja, was denn?«
Es sei Weihnachten, das Fest der Liebe, der Mann hätte viel Arbeit mit den Ponys gehabt, zwanzig Mark Finderlohn je Tier!
Als wir ihm das Geld gaben, bemerkten wir, dass er schon kräftig nach dem Festschnaps der Liebe roch. Das Geld verschwand in seiner Hosentasche, und wir erfuhren, wo die Ponys waren:
Die Ausreißer suchten am Weihnachtsabend nach frostfreiem Gras, fanden keines, wanderten und wanderten, bis sich bei Kai und Silva, den Wagenpferden, das Fressgedächtnis einschaltete. Sie zogen in die kleine Stadt, und die anderen Stuten trotteten mit.
Die Stadtstraßen waren menschenleer. Auf dem Stadtplatz brannten die elektrischen Kerzen am städtischen Weihnachtsbaum. Die ponyfreundlichen Einwohner feierten in ihren Stuben. Die Pferde durchstreiften das Städtchen und verweilten vor allen Häusern, aus denen einmal etwas Fressbares für sie gebracht worden war. Enttäuscht beschnupperten sie das Fontane-Denkmal und scheuerten ihr Fell an der Ladentür des Gemüsekonsums, und gegen zehn Uhr verließen die erfolglosen Bettler die Stadt. Für den Rückweg benutzten sie die Landstraße. Auch das hatte seinen Grund: Wenn Meister Emil Last auf dem Wagen hat, befährt auch er mit dem Gespann die gepflasterte Straßezum Dorf. Das Gedächtnis von Kai und Silva funktionierte ausgezeichnet.
An der Landstraße standen die Geräte- und Frühstücksbaracken für die Arbeiter einer großen Baustelle. Dort saß der Nachtwächter und tröstete sich für den ausgefallenen Weihnachtsabend mit einer Taschenflasche Wodka. Er langweilte sich und war froh, als er draußen Getrappel hörte. Die Hirsche ziehn, die Hirsche, dachte er, aber als der zottige Kopf des Hengstes im Lichtkreis des Wächterbudenfensters erschien, erschrak der Mann. Ein Wächter darf sich nicht fürchten. Er wird für Furchtlosigkeit bezahlt. Also überwand der Mann seine Furcht, nahm seinen Stock, ging hinaus und wunderte sich, weil ein Spielzeugpferd vor ihm stand. Er lockte den Hengst mit einem Stückchen Weihnachtsstollen an. Der Hengst nahm das Stollenstück und dankte brummelnd dafür. Da traten auch die Stuten aus dem Walddunkel, um nicht zu kurz zu kommen. Sechs Ponys umlagerten die Wächterbude und scharrten bettelnd mit den Vorderhufen.
In diesem Augenblick erkannte der Wächter die verdienstvolle Seite dieser Weihnachtsüberraschung. Er packte den Hengst und führte ihn in die Kantine der Bauarbeiter. Die Stuten zogen sich indes in den Wald zurück, und der Wächter verbrachte einen Teil der Nacht, sie einzufangen.
Die Kantine war weihnachtlich geschmückt: Der Weihnachtsbaum auf einem Schemel, Tannenzweige an den Wänden, weiße Papierdecken auf den Kiefernholztischen, leere Flaschen auf den Papierdecken und hin und her ein Krümchen vom Weihnachtsmahl. Die Ponys knabberten an den Papierdecken, lasen die Krumen von der Festmahlzeit auf, fraßen den Wandschmuck und schließlich den Weihnachtsbaum mit den Stearinkerzen.
Es blieb dem Wächter nichts übrig, als Stricke zu suchen und die Ponys einzeln an die Barackenstützpfeiler zu binden, aber sofort ergab sich ein anderes Problem, denn Ponys fressen nicht nur. Obwohl der Wächter weihnachtlich gestimmt war und an die Krippen-Esel in aller Welt denken mochte, konnte er nicht zulassen, dass aus der Kantine ein regelrechter Weihnachtsstall wurde. Immerhin konnte der Aufseher plötzlich erscheinen, wer kennt die Launen von Vorgesetzten? Der Wächter verbrachte den Rest der Nacht mit dem Aufschaufeln und Heraustragen zierlicher Rossäpfel, stellte jedoch fest, dass Pferde nicht nur misten. Er musste auch wischen. Wirklich ein heiliger Heiligabend.
Morgens kam die Ablösung des Wächters, und der Mann wusste, wohin die Ponys gehörten.
Ich machte mich mit zwei meiner Söhne auf den Weg: Sieben Kilometer in die Stadt, sieben Kilometer zurück
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