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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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ermittlungstaktischen Gründen
die Morddetails noch nicht veröffentlichen. Ich fürchte aber, die Medien werden
über kurz oder lang alles spitz kriegen. Es wissen einfach schon zu viele Leute
davon. Aber jeder Tag hilft uns.«
    Von Reuschenberg drückte ihm ein Foto in die Hand.
    »Den Toten kennen Sie ja schon. Ein Heiliger. Im Kirchenvorstand der
katholischen Gemeinde von Schalkenbach, einer der fleißigsten Spender bei
Pfarrfest und Kollekte, setzte sich aktiv für die Jugend ein, indem er die
Sommerfreizeiten der Messdiener plante und leitete. Und er hatte ein Herz für
Tiere, fuhr sonntags immer ins Albert-Schweitzer-Tierheim nach Bonn und führte
Hunde aus. Jeden Sonntag, immer um dieselbe Uhrzeit,
Punkt zwei am Nachmittag.«
    »Pünktlich wie ein Handwerker.«
    »Sprichwörtlich.«
    »Aber Alkoholiker.«
    »Wie bitte?«
    »Ja, dafür war er wohl bekannt.«
    »Sichere Quelle?«
    Julius überlegte nur kurz. »Sicherer geht es kaum.«
    »Das werden wir überprüfen. Weiter im Text. Feinde: Keine.«
    Julius umfuhr mit den Fingerspitzen das Bild des Mannes auf dem
glatten Fotopapier. Das Gesicht hatte ebenso viele Lach- wie Sorgenfalten.
Klaus Grad blickte gütig, wie der heilige St. Martin auf sakralen Bildern. Er
hatte etwas Biblisches, Zeitloses. Was war sein Geheimnis? Wer tötete einen
solchen Gutmenschen?
    »Seine Tochter ist Lehrerin in Remagen. Sie ist zurzeit im Urlaub in
der Schweiz. Auf der Bettmeralp, Ski fahren. Wir haben versucht, sie zu erreichen,
aber bisher ohne Erfolg.« Von Reuschenberg reichte Julius ein weiteres Foto.
»Wenn Sie Nahaufnahmen schätzen.«
    Auf dem Bild war eine Blutlache zu sehen, wie ein Stempel darin der
Abdruck eines Blazers. Die Leiche war auf den Rücken gedreht worden. Am oberen
rechten Rand lugte Klaus Grads Kopf ins Bild. Sein Gesicht war verzerrt. Fast
mittig auf der Stirn ein blutverkrustetes Einschussloch. Es sah aus wie ein
Meteoritenkrater.
    Von Reuschenberg deutete auf die Stelle. »Ein Schuss reichte. Ein
guter Schuss. Grad war sofort tot.«
    Julius kam Annemaries Vermutung ins Gedächtnis. »Hat er
selbst …?«
    »Nein. Er ist zweifelsohne ermordet worden. Keine Schmauchspuren an
den Händen. Der Winkel wäre auch unmöglich. Und der Schuss wurde aus zu großer
Distanz abgefeuert, der Schütze stand vermutlich ein bis zwei Meter entfernt.«
    »Und wann …?«
    »Als Sie die Leiche fanden, war Grad noch nicht lange tot. Deshalb
konnte der Todeszeitpunkt auch genau ermittelt werden. Ich habe gerade erst mit
unserem Gerichtsmediziner telefoniert.« Sie sah in ihr Notizbuch. »Grads Haut
ging an einigen Stellen ins Lilafarbene und war wächsern, fast durchsichtig.
Die Lippen waren blaugrau. Der Körper war aber noch warm und nicht steif.
Schlussfolgerung: Klaus Grad war zum Zeitpunkt der Untersuchung ungefähr
dreißig Minuten tot. Das heißt, als Sie ihn fanden, werden es etwa zehn Minuten
gewesen sein. Übrigens haben nicht nur Sie weder Klaus Grad noch sonst
irgendjemanden von der Gruppe weggehen sehen. Niemand hat etwas beobachtet.«
    Von Reuschenberg machte eine Pause. Sie nahm Julius die Fotos aus
der Hand und steckte sie in einen roten Aktenumschlag, den sie mit einem Knall
auf den kleinen Klapptisch pfefferte. »All das würde mich nicht um den Schlaf
bringen. Aber dass die Tür dieses Raums von innen verschlossen war, das kann
ich einfach nicht begreifen. Es gab keinen Ausweg für den Mörder.«
    »Keinen Hinterausgang?«
    »Nein.«
    »Einen Luftschacht?«
    »Viel zu klein.«
    »Ein Geheimgang?«
    Von Reuschenberg sah ihn ein wenig wunderlich an. »Selbst das haben
wir überprüft.«
    »Und wie sieht es mit einer Falltür aus?«
    »Nein, nein, nein, und auch nichts anderes. Aus einem Sarg gibt es
mehr Fluchtmöglichkeiten als aus diesem Raum.«
    Julius sagte zuerst nichts. Er ließ all dies sinken und spürte in
diesem Moment die Stille im Ford Transit, als wäre sie eine bedrohliche
Kreatur.
    »Vielleicht hat der Mörder die Tür ja von außen abgeschlossen, und
innen steckte nur ein weiterer Schlüssel?«
    »Haben wir geprüft. Geht nicht.«
    »Könnte er vielleicht unter der verschlossenen Tür durchgeschossen
haben?«
    »Es gibt kein unter der Tür. Sie schließt dicht ab.«
    Julius wurde wütend. »Es muss etwas geben!
Der Mörder ist doch nicht David Copperfield!« Er suchte nach einer anderen
Möglichkeit, wie dieses Geheimnis zu lösen war. So etwas konnte doch nicht
geschehen!
    »Und dann haben wir das hier entdeckt«, sagte von Reuschenberg

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