In Vino Veritas
Gottesdienste.«
Julius nickte, als wolle er sich versichern, dass alles so gewesen
war, wie er es beschrieb. Die Wirkung der Notfallpraline ließ spürbar nach.
Julius war nur noch wenig vom neuralgischen Punkt seiner Nacherzählung
entfernt. Dem Moment, als sich die Tür geöffnet hatte.
»Ich kannte ihn nicht gut. Eigentlich gar nicht. Er kam aus
Schalkenbach, und das ist halt doch ein gutes Stück entfernt. Ich hab ihn nur
einmal auf dem Winzerfest in Walporzheim gesehen, da stand er mit Freunden von
mir zusammen. Er war damals sehr ruhig gewesen, obwohl die ganze Runde bester
Laune war. Trank ganz bedächtig sein Mineralwasser. Heute war er auch
schweigsam. Ich hab versucht, mit ihm zu reden. Als uns der Tourführer die noch
in Plastik verpackten Telefone zeigte, mit denen im atomaren Ernstfall der
Kontakt zur Außenwelt aufrechterhalten werden sollte, standen wir zufällig
nebeneinander. Mir fiel auf, dass er schwitzte, obwohl er nur den weißen
Golfclub-Blazer und keinen Mantel darüber trug. Dabei war es im Bunker noch
kälter, als es hier draußen ist.«
»Und was haben Sie gesagt?«
»Ich meinte zu ihm, dass so ein Blazer auch bei mir zu Haus hinge,
nur mit einer anderen Aufschrift: ›Jedes Kilo ist steuerlich abgesetzt‹.«
»Und?«
»Kaum eine Regung. Ein angedeutetes Schmunzeln, aber es sah eher
gequält aus.«
»Bei dem Witz.« Sie lächelte. Julius bemerkte, dass ihre Lippen
trocken waren und blass von der Kälte. Aber selbst damit brachte sie ein
verführerisches Lächeln zustande.
»Er wirkte extrem angespannt. Die Hände waren richtig verkrampft.
Und sie sahen sehr abgearbeitet aus. Als Koch achtet man auf Hände – die
Visitenkarte eines Menschen.«
»Auf dieser stand Klaus Grad, zweiundsiebzig Jahre, Elektriker,
erfolgreicher Besitzer eines Handwerksbetriebs, verwitwet, eine Tochter. Keine
Vorstrafen.«
Julius glich die Fakten mit seinem Bild von Klaus Grad ab. Sie
passten. »Wissen Sie, wie er aussah? Wie dieser nette Bekannte von Miss Marple,
Mister Stringer. Und genau wie der schien Grad Angst zu haben. Vielleicht
dachte er, alles könne jeden Augenblick über ihm einstürzen.«
»Oder jemand könnte ihn ermorden. – Jetzt kommen Sie aber
langsam zum Punkt, da draußen warten noch andere Eisleichen, die vernommen
werden wollen.«
Julius blickte hinaus auf die Golfclubgruppe, allesamt mit
Styroporbechern bewaffnet, aus denen es dampfte.
»Der Wärter war verwundert, weil die Tür nicht verschlossen sein
durfte. Er versuchte sie zu öffnen, aber es ging nicht. ›Die muss von innen
verriegelt sein. Da muss einer drin sein‹, sagte er, fing an zu klopfen und zu
rufen.«
»Aber das brachte nichts.«
»Nein. Also rief er auf seinem Walkie-Talkie einen Kollegen, der
dann nach fünf Minuten mit einem Schweißbrenner ankam.«
Von Reuschenberg notierte wieder etwas. Sie rieb danach die
Fingerspitzen ihrer Hände warm. »Weiter.«
»Irgendwann war die Tür dann auf. Fragen Sie mich nicht, wie und was
er da geschweißt hat, zumindest glühte es rot, irgendein Metallstück fiel zu Boden,
und die Tür konnte mit einem Stemmeisen geöffnet werden.«
»Und?«
Julius schaute sie an. »Es roch nach Qualm. Und der war nicht vom
Schweißbrenner. Es roch nach einem Schuss.«
Julius hatte die Szene wieder klar vor Augen.
So viel Rot.
»Er lag hinter der Tür … in einer riesigen Blutlache … den
Arm ausgestreckt, als wolle er Hilfe holen … als wolle er zur Tür …«
Von Reuschenberg legte ihre Hand auf die seine. Julius sprach nun ruhiger
weiter: »Wie kann es nur sein, dass die Tür von innen verschlossen
war? Das verstehe ich nicht. Das widerspricht jeder Logik!«
Von Reuschenberg nickte. »Mal sehen, was die Spurensicherung über
den Raum zusammenträgt. – Und was war nun mit Ihrer Kameratasche?«
Julius blickte sie überrascht an. Mit dieser Frage hatte er nicht
gerechnet. »Die hatte der Vorsitzende des Golfclubs, Jochen Hessland,
mitgenommen, als ich sie in einem anderen Raum vergessen hatte. Er wollte sie
mir wohl in dem Moment geben, als ich mit dem Wärter weg bin.«
»Hat jemand von Ihnen etwas im Raum angefasst? Den Toten
vielleicht?«
»Nein. Niemand. Der Mann mit dem Schweißgerät hat den Raum
gesichert, während der andere die Polizei rief.«
»Noch eine letzte Frage: Haben Sie bemerkt, wie Grad oder eine
andere Person die Führung verlassen hat?«
»Nein. Dafür war die Gruppe zu groß. Sich da unbemerkt abzusetzen
war bestimmt ein Kinderspiel.«
Von
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