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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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Reuschenberg stand auf und zog die Schiebetür des Einsatzwagens
auf. »Vielen Dank. Sie haben mir wie immer geholfen.«
    »Gern geschehen.«
    »Sie haben es mit Morden, oder?«
    Julius trat hinaus auf die betonierte Zufahrt zum Regierungsbunker.
Die frische Luft wirkte wie ein Schluck Eiswein, sie spülte das Unangenehme
hinfort.
    »Das war bestimmt mein letzter.« Er konnte schon wieder ein wenig
lächeln. Aber es gab nun ein weiteres blutiges Bild in seiner Erinnerung, das
nicht verblassen würde, auch wenn er es sich noch so sehr wünschte.
    Das Haus in der Martinus-Straße wirkte leer, als Julius am
frühen Nachmittag von der Vernehmung zurückkehrte. Leerer als vor dem Ausflug.
Er ging in die Küche, setzte sich einen Kaiser-Melange-Tee auf und blieb neben
dem Wasserkessel stehen. Er lauschte auf die ersten zerplatzenden Bläschen, das
leise Murmeln, das zu einem Rauschen wurde, als das Wasser zu kochen begann.
Julius beobachtete den Dampf, der immer dichter aus der Tülle schoss. Als der
Kessel zu pfeifen anfing, nahm er ihn vom Herd und goss das heiße Wasser in
eine Tasse, in der bereits ein exakt befülltes Tee-Ei lag. Erst als er sich an
den schweren Holztisch im Wohnzimmer setzte, um den Tee bedächtig zu schlürfen,
fiel es ihm auf. Das Zimmer wirkte nicht nur leer, weil er sich innerlich so
fühlte, weil alle Wärme aus ihm gewichen war, weil der Schock keinen Platz für
ein positives Gefühl wie Behaglichkeit ließ.
    Der Raum wirkte noch aus einem anderen Grund leer.
    Herr Bimmel war nicht da.
    Und das war ungewöhnlich. Der dicke, schwarz-weiße Kater liebte es
zwar, in Heppingen herumzustreunen, Mäuse zu fangen, Autos zu beobachten oder
einfach zu lauern, egal auf was oder wen, aber jetzt im Winter liebte er es
noch viel mehr, im wohlig-warmen Haus zu liegen und den Mäusen ihren Frieden zu
lassen.
    Und jetzt war er weg. Julius blies heftig in seinen Tee, damit er
schneller kalt wurde. Heute Morgen war er doch noch da gewesen, hatte faul auf
dem Wohnzimmerteppich gelegen und sich träge geräkelt. So langsam, als wolle er
dadurch auf keinen Fall richtig wach werden.
    Julius warf sich die blaue Daunenjacke über und verließ das Haus.
Bei sich hatte er die Plastikbox, in der Herrn Bimmels liebstes Katzenfutter
war. Der gefräßige Kater stürmte stets herbei, sobald er das Rappeln der
kleinen Trockenfutter-Pellets hörte. Auf seinen Namen reagierte Herr Bimmel
nie.
    So sehr Julius auch um den Kater besorgt war, so froh war er
darüber, dass ihn etwas auf andere Gedanken brachte. Als er das letzte Mal
einen Toten entdeckt hatte, kostete ihn dies am Ende fast selbst das Leben.
    Die klare, kalte Luft konturierte alles um ihn herum. Heppingen
wirkte wie ein großer Scherenschnitt. Es war, als könne er bis zum Horizont,
bis zur Spitze der Landskrone, jeden blanken Ast an jedem Baum, jeden
verschrumpelten Zweig an jedem Rebstock erkennen.
    Nur Herr Bimmel war nicht zu sehen.
    Julius ging in Richtung Ahr, bog rechts in die Havinganstraße ein,
dann wieder rechts in die Quellenstraße, ab und an innehaltend, mit der
Futterdose rappelnd. Das Geräusch hallte von den Häuserwänden wider. Von den
Spaziergängern erntete er Blicke des Unverständnisses. Die Heppinger hatten
sich auf den Winter eingestellt und führten nun ihre Pelze spazieren. In den
Nachbargemeinden war es nicht anders. Es sah aus, als wäre eine Horde Bären ins
Tal eingefallen.
    Plötzlich ertönte ein Maunzen.
    Es kam aus dem Vorgarten eines weiß gestrichenen Hauses. Ein
Feuerdornstrauch bewegte sich verdächtig, und heraus sprang eine schwarz-weiße
Katze, die schnell galoppierend auf ihn und die Futterdose zukam.
    Allerdings handelte es sich dabei nicht um Herrn Bimmel.
    Das, was gerade hell gurrend um Julius’ Beine strich, war das
Negativ vom Kater. Wo der schwarz war, trug dieses Exemplar Weiß – und
umgekehrt. Dem Körperbau zufolge war es auch kein Kater, sondern eine Katze.
Julius wurde klar, dass er nicht der Einzige war, der seinen kleinen Tiger à la
Pawlow auf Futterdosenrappeln abgerichtet hatte. Großzügig warf er etwas Futter
auf den Boden, als aus demselben Strauch wie die kleine Katze zuvor sein dicker
Kater hervorsprang. Mit großen Sprüngen raste er heran und stürzte sich auf das
Futter.
    Derselbe Busch, dachte Julius, so ein Zufall. Aus dem Haus hinter
dem Busch kam nun ein Mann, den Julius eher in einem kanadischen Holzfällercamp
vermutet hätte. Rote Haare, die fast das gesamte Gesicht bedeckten,

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