INFAM - Die Nacht hat tausend Augen (German Edition)
Anfang der Beziehung noch richtig heiß auf ihn gewesen und er sah mit seinem sportlichen Körper, seinen gewellten schwarzen Haaren und den schönen braunen Augen nun wirklich nicht schlecht aus. Außerdem gab er sich alle Mühe, ein einfühlsamer Liebhaber zu sein. An ihren Gefühlen für ihn konnte es auch nicht gelegen haben, denn sie hatte ihn total ins Herz geschlossen und hing an ihm. Sie konnte mit ihm über alles reden und er war zu einem echten Freund geworden, auf den sie sich immer verlassen konnte. Zwar fand sie hübsche Frauen schon seit der Pubertät erotisch, aber wie sehr sie die körperliche Nähe einer Frau erregte, war ihr erst so richtig bewusst geworden, als sie eines Tages mit einer Freundin nach einem Tennismatch zusammen geduscht hatte und plötzlich den unwiderstehlichen Drang verspürt hatte, sie anzufassen und ihre verschwitzte Haut zu streicheln. Zunächst ließ sich diese auch noch bereitwillig ihren Körper mit Duschgel einreiben, aber als Sarah sie dann küssen wollte, erntete sie irritierte Blicke und wurde zurückgewiesen. Von da an dämmerte es Sarah allmählich, warum sie den Sex mit Michael immer mehr als lästige Pflichterfüllung angesehen hatte und es immer seltener dazu kommen ließ. Sie fasste sich schließlich ein Herz und redete mit ihm. Er war zwar verstört, reagierte aber zunächst sehr verständnisvoll. Doch als er merkte, dass dies das unwiderrufliche Ende ihrer Beziehung bedeutete, begann er sich total zurückzuziehen. Sarah konnte es ihm nicht verdenken. Allerdings war er ihre Vertrauensperson Nummer eins geworden und sie liebte ihn wirklich, zumindest so wie sie auch ihren Bruder liebte. Dementsprechend heftig traf es sie, ihn zu verlieren. Zusammen mit ihren Gedanken nicht normal zu sein und der Angst vor der Reaktion anderer, ließ sie der Verlust von Michael immer tiefer in eine Depression driften. Als sie eines Nachts mit einem Messer in der Hand auf ihrer Bettkante saß und sich vor lauter innerem Schmerz ins Bein schnitt, wusste sie, dass es höchste Zeit war, etwas zu unternehmen. Also wandte sie sich an ihren Hausarzt, der sie dann in kürzester Zeit in die Klinik überwies. Der Aufenthalt dort stabilisierte sie soweit, dass sie den Mut fand zu ihrer Veranlagung zu stehen und ein neues Leben zu beginnen. Mit ihrem Umzug nach Dover wurde dies schließlich eingeleitet. Und jetzt schien endlich alles gut zu werden. Nach der Nacht mit Denise hatten sich die beiden noch ein paar mal wiedergesehen. Vor etwa einer Woche ergab es sich dann bei einem dieser Treffen, dass Sarah von ihrem Wunsch nach einem Nebenjob erzählte. Denise berichtete daraufhin, dass sie ursprünglich den Beruf der Krankenschwester erlernt hatte, aber sich jetzt als Schauspielerin oder Model beweisen wollte. Bis sie dort ein passendes Angebot bekam, würde sie sich halt irgendwie durchschlagen. Einen Job hatte sie gerade gefunden. Denise schlug Sarah vor, sich auch bei den Ashmores zu bewerben, da diese gleich zwei Babysitter beschäftigen wollten. Sarah hoffte inständig, dass es klappen würde und sie hatte – wie momentan eigentlich bei allem – Glück gehabt.
Inzwischen waren sie immer weiter in das ländliche Delaware vorgedrungen. Waldflächen wechselten sich mit weiten Feldern ab, die von der dunklen Nacht verschlungen wurden. Sarah sah zu Denise rüber, die in ihrem Sitz gesunken dasaß und nun ebenfalls ihren Gedanken nachzuhängen schien. Sarah steuerte das Auto in eine Kurve und drückte mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand auf einen Knopf am Radio, um es abzuschalten.
„Pass auf!“, rief Denise.
Im letzten Moment sah Sarah die Gestalt, die am Rand der Straße vorwärts torkelte, und riss das Steuer ein Stück weit zur Seite. Die Scheinwerfer des Autos hatten Sarah nur einen kurzen Blick auf die Person ermöglicht, die dunkel gekleidet war und auffallend dürr erschien. Auf dem Kopf trug sie einen schwarzen Hut, unter dem zottelige, längere Haare hervorschauten. Irgendwie wankte oder hinkte sie merkwürdig, fiel Sarah auf.
„Hab ich mich erschrocken“, sagte Sarah.
„Ich mich auch. Was war das denn für einer?“
„Gute Frage. Sah aus wie der wandelnde Tod. Wahrscheinlich irgendein betrunkener Obdachloser. Bin mir aber nicht mal sicher, ob es ein Mann war.“
„Schon gefährlich, hier in der Dunkelheit auf der Straße herum zu wandern. Um ein Haar hättest du ihn angefahren, oder sie, je nach dem“, sagte Denise.
„Ja, war knapp. Vielleicht war das auch jemand
Weitere Kostenlose Bücher