Inferno - Höllensturz
und ließ ihn klingen wie ein kreischendes Mädchen. Er versuchte, sich aus dem Stuhl zu hieven, doch er war immer noch zu schwach und benommen.
»Entspann dich. Es musste sein. Wenn du deine Jungfräulichkeit verloren hättest, wäre alles ruiniert gewesen. Das konnte ich nicht zulassen, Walter. Ich konnte nicht zulassen, dass diese blonde, geile Schlampe mir die ganze Tour vermasselt. Du hättest dich nur einmal mit ihr im Heu zu wälzen brauchen, und alles wäre verloren gewesen. Das ist eine der Regeln. Du musst Jungfrau bleiben und ich ebenfalls.«
Ich wurde sabotiert! Von meinem eigenen Bruder! Walter war noch nie im Leben so wütend gewesen, und auch nicht so verwirrt. Wie konnte Colin so etwas tun? Wo er doch wusste, was Walter für Candice empfand?
»Dein Schicksal ist eine Million Mal wichtiger als deine Obsession für diese Muskelpaket-Nutte Candice.« Colin schien seine Gedanken gelesen zu haben. »Also musste ich es dir versauen. Tut mir Leid, aber es ging wirklich nicht anders.«
»Wenn ich nur endlich aus diesem verdammten Stuhl komme, dann …«
»Spar dir das. Und hör mir zu.« Colin schnippte mit dem Finger, woraufhin Augustina Walter zurück in den Raum schob, der an den Balkon angrenzte. Die Pendeluhr tickte weiter. Nur noch ein paar Minuten bis Mitternacht. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Vertrauen ist alles. Glaube ist das Fundament. Du musst deinem Glauben alles opfern, weil unsere Götter die Gläubigen beschützen. Sie verleihen uns Macht. Glaubst du daran, Bruderherz?«
»Ich glaube, dass du verrückt bist!«, brüllte Walter. »Du bist bloß ein durchgeknallter Teufelsanbeter!«
»Augustina?« Colin winkte sie zu sich. »Zeig meinem Bruder die Kraft deines Glaubens.«
Die nackte Frau ging anmutig um den Stuhl herum, lief so elegant wie ein Model auf dem Laufsteg auf den Balkon und sprang vollkommen geräuschlos über das Geländer.
»Siehst du?«, meinte Colin.
Walter schluckte.
»Du musst es sein, denn ich kann es nicht sein.« Colin holte eine Dose Milwaukee’s Best aus dem Kühlschrank, machte sie auf und nahm einen Schluck. »Aaah, das kann man trinken. Nicht diese französische Schwulenbrause. Aber wo war ich? Ach ja. Ich bekomme meine eigene Belohnung, mach dir da also keine Sorgen. Scheiße, ich wünschte, ich könnte es sein, aber so wurden die Karten nicht gemischt. Deshalb hab ich mir fast in die Hose gemacht, als die Uni anrief und mir von deinem Selbstmordversuch erzählte. Walter, es ist unbedingt erforderlich, dass du eine Sache verstehst: Du kannst nicht derjenige sein, der sich umbringt. Du bist derjenige, dem es bestimmt ist, der Sohn des Äthers zu sein.« Das Kerzenlicht warf bizarre Schemen über Colins Gesicht. »Der Prinz der Lügen will dich, Bruder. Ich bin nur eine Schachfigur. Wir alle spielen unsere kleine Rolle.« Er leerte die Bierdose, warf einen Blick auf die Uhr und sagte dann: »Es ist fast Zeit.«
»Zeit für was?«
»Erst mal: dein Geschenk!« Colin überreichte Walter eine aufwändig gearbeitete, kunstvoll geschnitzte Mahagonikiste. »Mach’s auf.«
Walter gehorchte – und schrie, bis das Weiße in seinen Augen rot wurde. Aus der Kiste starrte ihn Candices abgetrennter Kopf an. »Was hast du getan?«
»Ich hab die blöde Kuh umgebracht«, sagte Colin. »Ich hab sie nie gemocht, aber der Grund sie zu töten war, dich zu motivieren. Sieh mal in die Kiste. Da liegt eine Seite aus ihrem Tagebuch …«
Walter stand kurz vor einem Herzinfarkt, als er das Stückchen Papier herauszog. Es war hübsches, liniertes Papier in Zartrosa. Es roch nach ihrem Parfüm und war tatsächlich mit ihrer vertrauten Schnörkelschrift beschrieben. Der letzte Eintrag auf der Seite, datiert auf den vergangenen Tag, lautete:
Ich weiß, meine Affären mit den anderen Jungs sind sowieso nur Spielerei. Das alles war eine Phase, und diese Phase liegt nun hinter mir. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Diese idiotischen Bodybuilder lieben mich nicht, aber Walter liebt mich. Und ich liebe ihn. Und morgen werde ich es ihm sagen...
Wieder kreischte Walter, diesmal so laut, dass es sich anfühlte, als rissen ihm Rasierklingen von innen den Hals auf. Nichts spielte jetzt mehr eine Rolle. Fragen waren unwichtig, Erklärungen konnten keinem Zweck mehr dienen. Walter warf sich aus dem Stuhl. Er war immer noch zu benommen zum Laufen, doch er konnte vorwärts kriechen.
Also krabbelte er auf die offenen Schiebetüren zu. Zielstrebig. Wenn er erst auf dem Balkon wäre,
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