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Inferno - Höllensturz

Inferno - Höllensturz

Titel: Inferno - Höllensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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Keine von ihnen gab einen Mucks von sich. Blut spritzte aus den Wunden. Alle brachen auf einmal zu einem zuckenden Haufen auf dem Boden zusammen.
    Das Mädchen mit den strohigen Haaren bot Walter ein Messer dar. »Würdest du mich bitte töten? Es wäre die heiligste Ehre.«
    »Wenn du mir das Messer gibst, töte ich mich selbst«, stieß Walter hervor.
    »Tu das nicht. Du würdest all deine Macht verlieren. Du willst doch deine Macht haben, oder nicht? Wenn du gehst, um dir deine Candice zurückzuholen?«
    Candice , dachte Walter. Ihr Kopf schwamm im Whirlpool. Hier war sie tot, doch Colin hatte angedeutet, dass sie noch am Leben war, an einem anderen Ort.
    Trotzdem es Wahnsinn war, wusste Walter, dass er zu diesem anderen Ort musste.
    »Erzähl mir davon«, bat er das Mädchen.
    »Es steht alles hier.« Sie ächzte, als sie seinen Rollstuhl an den Tisch schob. Ihre verschorfte, knochige Hand tippte auf einen Stapel Notizbücher. »Lies das, und du wirst alles verstehen.«
    Walter betrachtete die Bücher. Konnten tatsächlich solche Geheimnisse darin sein?
    Sie reichte ihm einen Zettel, auf den jemand eine Adresse geschrieben hatte; offenbar im Süden der Stadt. Und da war noch etwas: ein dünner schwarzer Stein, etwa so groß wie ein Zehncentstück. Ein Onyx, da war Walter sich sicher.
    »Das ist von deinem Bruder«, sagte sie, die Stimme heiser vom jahrelangen Einatmen der Crackdämpfe.
    »Was ist das?«
    »Das erfährst du noch.« Und für einen flüchtigen Moment sah das schmutzige, nackte Straßenmädchen lebendig aus, ein unglaublich dunkler Schimmer umgab glitzernd den Umriss ihres Körpers, die Augen leuchteten.
    Sie lächelte glückselig und flüsterte: »Sohn des Äthers …«
    Ganz, ganz langsam fragte Walter: »Was soll das bedeuten?«
    Ihr Licht war verloschen. Sie war wieder ihr altes zerrüttetes Selbst, mit Haut in der Farbe geronnener Milch und verklebt von Junkieschweiß. Ihre zitternden Hände klopften auf die Notizbücher.
    Dann hob sie die Hände, als wollte sie nach der Decke greifen. Sie legte den Kopf in den Nacken und stöhnte: »Ehre sei dir, o Sohn des Äthers … Ehre sei dir …«
    Dann schnitt sie sich die Kehle durch und brach zusammen, ihr dunkles Blut floss über den Leichenhaufen wie Kirschsoße über ein milchweißes Dessert.
    Die Kerzen flackerten ein letztes Mal und verloschen. Aus irgendeinem Grund fühlte sich die nun herrschende Stille tröstlich an, gemeinsam mit dem schwankenden, dunklen Raum.
    Walter drehte den Rollstuhl wieder herum.
    Er zog das erste Notizbuch zu sich heran und begann zu lesen.

KAPITEL NEUN

I
    »Ich will es sehen. Ich würde … es so gerne sehen …«
    Sein Name war Ernst Röhm. Zu Lebzeiten hatte er eine Privatarmee namens »Sturmabteilung« auf die Beine gestellt, die nur dazu da war, Juden zu schlagen, zu terrorisieren, zu vergewaltigen und zu töten. Es war ebenfalls Röhm gewesen, der verbreitet hatte, die deutschen Juden würden insgeheim die Kommunisten unterstützen, was überhaupt nicht stimmte; doch die Aufrechterhaltung dieses Gerüchts versorgte Röhm mit der allgemeinen Unterstützung, die er benötigte, um weiterhin Juden zu töten. Röhm selbst verging sich am liebsten an kleinen Jungen. Oft erschoss er sie hinterher, »für die Nachwelt«, wie er seinen Spießgesellen lachend berichtete. Seine barbarischen Taten verleiteten schließlich genug Wähler zu der irrigen Annahme, die Juden wollten Deutschland zerstören, und eben diese Ansicht verhalf einem Mann zur Position des Reichskanzlers, der versprach, alle Probleme zu lösen. Der Mann hieß Adolf Hitler.
    So war Röhm zu Lebzeiten gewesen. Im Tod war er selbst ein Kanzler, nämlich der Kanzler für Okkulte Energieoperationen. Sein höchster Vorgesetzter betrachtete ihn als sehr bedeutenden Mann.
    Er und sein Assistent, ein ehemaliger römischer Bannerträger namens Flarius, sahen von ihrem Beobachtungsposten aus von oben auf das riesige Atrozeum.
    »Wir werden es bald erleben«, versicherte Flarius in nicht gerade begeistertem Ton. Er hatte vier Arme – zwei davon waren von den Heiligen Transfiguristen hinzugefügt worden, damit er mehrere Dinge auf einmal tun konnte. Er drehte an ein paar Knöpfen auf einer Schalttafel aus Muskovit. »Eins Komma drei Millionen«, sagte er. »Das war die letzte Zählung. Nicht zu fassen, dass wir so viele in die Arena bekommen haben.«
    »Nichts ist unmöglich«, erklärte Röhm, den Blick immer noch auf das überfüllte Feld gerichtet. »Nicht für

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