Inferno - Höllensturz
gesamten Situation hilflos ausgeliefert. Ätherkind? Er lief mit einem Kopf in der Hand durch die Gegend. »Angeblich soll ich doch tolle Kräfte haben; so stand es zumindest in diesem Buch.«
»Du hast diese Kräfte, Walter. Es wird nur ein bisschen dauern, bis du dich genug entwickelt hast, um sie zu nutzen. Oder das wird nie geschehen – das kann ich dir nicht sagen. Du musst lernen, deine Gefühle zu beherrschen. Selbstbezogene Emotionen – wie Furcht oder Verzweiflung – stehen deiner Gabe im Weg. Du bist an einem neuen, dir fremden Ort. Du musst dich daran gewöhnen, hier zu sein. Du darfst dich nicht ablenken lassen, sondern musst alle mentalen Schranken überwinden. Du musst deine Sinne ent-blocken.«
Walter schüttelte den Kopf. »Ent-blocken? Fantastisch. Ist das überhaupt ein Wort?«
»Wenn du die Wahrheit wissen willst, Walter: du bist wahrscheinlich zu wirr im Kopf, um deine Kräfte jemals vernünftig zu entwickeln.«
»Also bin ich ein Ätherkind ohne Ätherkräfte?«
»Ja.«
Schon wieder ein Betrug. Schon wieder ein Tritt in die Weichteile. Es spielte keine Rolle, in welcher Welt er war, er war und blieb ein Verlierer, den niemand beachtete. Schlurfend bog er um eine weitere Ecke.
»Moment mal, wenn ich keine besonderen Kräfte habe, wieso will Luzifer mich dann haben?«
Der Kopf gab zunehmend abgründige Antworten. »Weil du Plan B bist, Walter. Plan A ist nämlich gescheitert.«
»Ich stecke dich gleich zurück in die Mülltonne«, sagte er empört. Er kapierte nichts von dem, was sie sagte; es schien allerdings, als würde sie sich mit Absicht so vage äußern, nur um ihn zu verwirren oder zu frustrieren.
Nun klang sie traurig, oder auch enttäuscht. »Selbst dazu fehlt dir die Courage, Walter. Je mehr die Menschen dich verletzen, desto weniger entschlossen verteidigst du dich. Du bist ein leichtes Opfer, viel zu nett, um es hier oder irgendwo zu etwas zu bringen. Ich sage dir nicht, was du wissen musst – du solltest mich also wirklich besser zurück in die Mülltonne stecken. Aber nicht mal dazu bist du fähig.«
Einen winzigen Augenblick lang zögerte er, wollte sich umdrehen und ihren Kopf wegwerfen. Aber sie hatte Recht. Er konnte niemanden wegwerfen, selbst wenn andere Leute ihn sein ganzes Leben lang immer weggeworfen hatten. Namenlos war seine einzige Freundin. Zugegeben, sie war keine besonders gute Freundin, aber immerhin war sie eine.
Ein Metallschild an einer Backsteinwand verkündete: ÖZG-ZONE. Ein männlicher und ein weiblicher Imp spazierten Hand in Hand die Straße hinab. Die Impin trug eine Blume und beide sahen einander mit tiefer Liebe in die Augen.
»Öffentliche Zurschaustellung von Gefühlen ist hier Vorschrift?«, fragte Walter irritiert.
Plötzlich fing der Imp lauthals an zu jaulen, gleichzeitig hörte Walter ein schmatzendes Geräusch. Völlig entsetzt betrachtete er die Szene.
Die Impin hieb dem Imp mit einem kleinen Beil in die Lendengegend. Grünes Blut schoss in hohem Bogen heraus, als der männliche Imp auf den Boden knallte. Doch das war noch nicht alles:
zack-zack-zack!
Jetzt hackte sie ihm auch noch in die Brust, direkt durch die Rippen. Noch mehr Blut quoll hervor. Ihre Absicht war unmissverständlich: Sie schnitt ihm das Herz heraus.
»Nicht Gefühle, Walter.« Namenlos rollte mit den Augen. »Öffentliche Zurschaustellung von Grausamkeit. Ach, und sieh dir das da drüben an. Siehst du sie?«
Ein dünnes menschliches, in Lumpen gekleidetes Mädchen lag mit weit gespreizten Beinen und weit aufgerissenen Augen in einem Hauseingang. Sie war offensichtlich schwanger, doch ihr gewölbter Bauch schien in regelmäßigen Abständen abrupt in sich zusammenzusinken. Unter ihrem zerlumpten Rock kamen Kaulquappen-ähnliche Wesen – aber so groß wie Kröten – hervor und huschten auf winzigen Händchen und Füßchen davon. Das Mädchen brachte einen ganzen Wurf davon zur Welt; als Walter widerwillig eins der Wesen genauer ansah, bemerkte er, dass es die Andeutung eines Gesichts besaß, welches dem Mädchen ähnlich sah.
Du lieber Gott , dachte Walter, schon vom Zusehen schwindelig.
»In der Hölle können sich Menschen untereinander nicht fortpflanzen«, erklärte Namenlos unter seiner Achsel hervor. »Weil sie Seelen haben. Aber Menschenfrauen können von Sex mit anderen Spezies schwanger werden. Das Mädchen da hat es besonders böse erwischt, vermutlich wurde sie von einem Troll vergewaltigt. Die Kreaturen, die da aus ihr herauskommen, nennt
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