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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Gercke
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ungebrochene Farben
    - die Farben Afrikas, ein Ausdruck ihrer Sehnsucht, Ventil ihres inneren Drucks. Sie verlor sich in seiner Umarmung, atmete seine Wärme, hörte nichts außer den kräftigen Schlägen seines Herzens. Als sie später im Bett lagen, den Kopf in seiner Halsgrube, die Beine umeinander verschlungen, waren sie sich näher, als sie für viele Monate gewesen waren. Der Abstand war kaum noch fühlbar.
    Gleich am nächsten Tag begann sie ein Bild zu skizzieren. Aber nicht Afrika, eine Winterlandschaft.
    Als sie an diesem 8. November 1989 aus der Stadt zurückkehrte und vor ihrem Haus aus dem Auto stieg, sah sie hinauf in den stürmischen Novemberhimmel. Die Sonne sank schon dem Abend zu, es blieben noch ein, zwei Stunden Zeit zum Laubfegen. Sie schloss die Haustür gegen den kalten Wind und brachte ihre Einkäufe in die Küche. Im Wohnzimmer lief der Fernseher. Er lief fast immer.
    Er gab ihr die Illusion, nicht allein zu sein. Sie hörte dem Sprecher kaum zu, der Klang seiner Stimme genügte ihr.
    Rasch zog sie ihre Jeans an, öffnete die Terrassentür zur Südseite und erstarrte. Hinter dem dreißig Meter langen Zaun, der in drei Meter Entfernung von der Fensterfront ihres Wohnzimmers den Garten begrenzte, erhob sich eine drei Meter hohe, düstere Fichtenwand. In der einzigen Lücke, durch die ein schmaler Streifen weißen Sonnenlichts fiel, richtete sich gerade, wie von Zauberhand geführt, eine letzte Fichte auf, dann lag ihr Garten in tiefem Schatten. Als sie heute Morgen in die Innenstadt gefahren war, um sich ein Kostüm zu kau-32
    fen, konnte sie noch ungehindert Nachbar Kraskes Karottenfeld betrachten.
    Herr und Frau Kraske bewohnten ein winziges, spitzgiebeliges Haus, das Letzte seiner Art in dieser Gegend, und pflanzten Unmengen von Karotten, Kartoffeln und Zwiebeln an. Herrn Kraskes Hätschelkind war der Tabak, aus dem er sich, nachdem er ihn über den Winter auf seinem Dachboden getrocknet hatte, entsetzlich stinkende Zigaretten drehte, die er dann auf seiner Terrasse paffte und deren Rauch Cargills von ihrer Terrasse vertrieb.
    Frau Kraske war eine große, eingetrocknete Frau, dürr, mit wirren, grauen Haaren, die sie in einem Zopf um ihren Kopf gewunden trug. Jetzt kniete sie zu Füßen ihres Mannes und schaufelte auf sein Geheiß Erde über die Fichtenwurzeln. Doch wie immer konnte sie ihm nichts recht machen. Er stieß sie mit dem Fuß zur Seite, nahm die Zigarette aus dem Mund und brüllte sie in einem Ton an, der Henrietta Herzrasen bescherte und Erinnerungen beschwor: Bilder von bedrohlichen schwarzen Gestalten, das Poltern klobiger Stiefel und das Stakkatohämmern an der Tür.
    Frau Kraske stand mit hängenden Armen da, starrte ihren Mann stumm aus flackernden Augen an, und Henrietta ahnte, welche Antwort nun folgen würde, denn Frau Kraske besaß eine überraschende Gabe. Sie konnte mitreißend tanzen.
    Manches Mal sah sie sie in der Mittagssonne über ihren schnurgeraden Steinplattenweg wirbeln, mit fliegenden grauen Haarsträhnen und leicht wie eine Feder. Es schien das Einzige zu sein, was sie nach all den Ehejahren von ihrer Persönlichkeit bewahrt hatte: die Sprache ihres Körpers. Statt den Mund zu öffnen, hob Frau Kraske einen Fuß, schlug einen aufsässigen Trommelwirbel, tanzte trotzig, stampfte ihren Zorn auf die Steinplatten. Ihr Mann hieb ihr unvermittelt die Schaufel über den Rücken, sie stolperte, fiel in sich zusammen und war wieder die dürre, graue Frau Kraske ohne Worte, huschelig und gebeugt, so dass Henrietta glaubte, einer Sinnestäuschung aufgesessen zu sein.
    Herr Kraske hasste alles Wilde, Ungezügelte. Seine Karotten standen, stramm ausgerichtet in Viererreihen auf erhöhten Beeten, die 33
    mit ihren präzisen Kanten an Gräber erinnerten. Wühlmäuse und Ratten, die sich von seinem Komposthaufen ernährten, erweckten in ihm martialische Gelüste. Mit reichlich Gift und Fallen rückte er ihnen zu Leibe, brachte sie dutzendweise zur Strecke. Triumphierend drapierte er die kleinen Kadaver um den Komposthaufen. »Das schreckt ihre Kollegen ab!«, freute er sich.
    Herüberhängende Zweige, Margeriten und liederliche Gänseblümchen, die von ihrem Grundstück heriiberwucherten, und der leuchtende Sommermohn, der seine Samen auf sein Land verstreute, lösten in ihm einen Vernichtungsimpuls aus. Er hackte alles heraus, und als sie einmal mehrere Tage abwesend war, sogar auch auf ihrer Seite des Zauns.
    Eiszeit brach über die Nachbarschaft herein.
    Heute nun hatte

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