Ins dunkle Herz Afrikas
Todesangst, nackte, schreiende Todesangst.
Mary schrie ihre Trauer heraus, und die vier in der Hütte lauschten mit angehaltenem Atem.
»Wir müssen hier raus!« Ron setzte sich mühsam auf. »Jedenfalls ihr drei, ich wäre nur eine Behinderung für euch, ich kann nicht ordentlich laufen.«
Seine Worte genügten, sie aus dem Strudel ihrer Gedanken herauszureißen.
Soweit sie im Dämmerlicht der Hütte erkennen konnte, schien es Ron besser zu gehen. »Wie weit ist die Farm von Jill Court?«
»Die Grenze verläuft ganz in der Nähe südlich des Umfolozi, das Haus selbst liegt drei, vier Stunden Fußmarsch entfernt, bei diesem Regen braucht man mindestens noch zwei mehr. Während der ersten Nacht ist Judy sicher nicht weit gekommen, aber spätestens gestern müsste sie die Court-Farm erreicht haben ...« »Hört zu«, sagte Henrietta leise, »ich versuche, hier wegzukommen, ich bleib hier nicht sitzen und warte, bis Mary sich ausgedacht hat, wie sie uns ins Jenseits befördert. Ron, du musst mir genau erklären, wie ich dorthin gelange. Ist es wirklich der nächste Ort, wo man Hilfe holen kann?«
»Der nächste, den ich kenne. Aber du kannst nicht allein gehen, außerdem musst du erst mal hier herauskommen, Henri. Es ist zu ge-332
fährlich!« Ron umklammerte ihren Arm, als wollte er sie körperlich zurückhalten.
»Nichts kann mir so gefährlich werden wie diese blutrünstigen Verrückten da draußen! Wir müssen einen Plan machen.« Sie spielten verschiedene Pläne durch, aber keiner hielt am Ende, was er anfänglich versprach. Niedergedrückt dösten sie eine Weile, ohne Gefühl für die Zeit, die darüber verging. Marys Klagen wurde leiser, ihre Stimme rauer, schließlich verstummte sie. Das Phänomen des sich bewegenden Bodens wiederholte sich noch einmal. Henrietta schreckte auf.
»Da! Habt ihr es nicht auch gemerkt?«
Aber die drei anderen schüttelten den Kopf, und sie versuchte sich selbst mit der Erklärung ihrer überreizten Nerven zu beruhigen. Niemand brachte ihnen etwas zu essen, nur Lukas schlüpfte einmal herein und stellte ein irdenes, dickbauchiges Biergefäß vor sie hin. »Wasser«, flüsterte er. Er hatte nur Augen für Isabella. Sie umklammerte seine Hand, aber er legte einen Finger auf ihre Lippen, entzog sich ihr und verschwand wieder. Einer nach dem anderen tranken sie aus dem Tbngefäß.
Als Letzte hob Henrietta es mit beiden Händen an die Lippen, strich über seine schwarze, seidigmatt glänzende Oberfläche. »Diese Gefäße werden oft mit Asche und dann mit Kuhfett eingerieben und mit einem glatten Kiesel poliert, bis sie glänzen«, murmelte sie. »Sarah töpfert die schönsten Biergefäße, sie lernte es von ihrer Mutter und die wiederum von ihrer Mutter, und die war die berühmteste Bierbrauerin ihrer Gegend.« Sie nahm einen Schluck von dem lauwarmen, leicht faulig schmeckenden Wasser, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Das Bier ist sehr nahrhaft. Sie weicht Mais- und Hirsekörner ein, bis sie keimen, dann breitet sie sie auf flachen Graskörben zum Trocknen aus.« Mit einem runden Stein in ihren kräftigen Fäusten hatte Sarah das Getreide danach auf einem glatten Mahlstein grob zerstoßen und den Grieß mit Wasser zu einem Brei verkocht. »Sobald der Brei abgekühlt ist, gießt sie Malz darüber und lässt das Ganze dann für ein paar Tage gären.« Sie 333
drehte das bauchige Gefäß in ihren Händen, fuhr mit dem Zeigefinger das eingekratzte Muster nach.
»Nun müssen wir erst den Vorfahren danken«, hatte Sarah verkündet und mit einem hölzernen Löffel ein wenig Schaum vom Bier abgeschöpft und auf den Boden getröpfelt. »Selbst Zulus, die weit von ihrer Heimat entfernt in der Stadt wohnen, schütten etwas Bierschaum für ihre Ahnen auf den Boden. - So, der Rest ist für uns.« Einenausgehöhlten, halbierten Flaschenkürbis benutzend, hatte sie das Bier gekostet und daraufhin ihre Arme ausgebreitet. »Seht, ich lebe, es ist nicht vergiftet. Früher haben wir unsere Feinde zu einem Fest eingeladen und uns ihrer so entledigt.« Sie lachte ironisch. »War einfacher, als gegen sie zu kämpfen, denke ich.« Als Erstem servierte sie Vilikazi, am Boden kniend, wie die Tradition es wollte, danach lan und erst dann bekam Henrietta ein bis zum Rand gefülltes Tongefäß.
»Seid ihr bei Zulus eingeladen«, hatte Vilikazi grinsend bemerkt, »beachtet, in welchem Gefäß euch das Bier serviert wird. Ist es ein großes, ein uKhamba wie dieses, könnt ihr euch
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