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Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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kleinbürgerlichen Familie, er hatte Betriebswirtschaft studiert und machte viel Geld als Börsenmakler. Er benutzte solche Worte gern.
    Ein anderes war »Gesocks«. »Platzetikette?«
    »Nun, wie man sich zu benehmen hat. Kleiderordnung, welche Schuhe man trägt und so weiter.« Sein Schlips zeigte lauter kleine, gestickte Golfschläger.
    Sie und lan sahen einander an. »Ach, du heiliger Strohsack«, brummte lan, der schon als Junge in Schottland Golf gespielt hatte. »Platzetikette!«
    Trotzdem luden Möllingdorfs sie öfter zum Spielen ein, und an diesem Tag hatte Heiner lan und Henrietta für ein gemischtes Doppel zugesagt. Keinem entging das Zwinkern, das Ingrid Carlo, dem Tennislehrer, zuwarf.
    »Der Kerl könnte doch dein Sohn sein!«, brüllte Heiner mitten auf dem Tennisplatz. »Du machst dich lächerlich!« »Ach, und dieses Flittchen, diese Bettina? Sagt sie Papi zu dir?« Ingrid verzog gehässig ihren Mund.
    In diesem Moment hustete Heiner, griff sich ans Herz. »Mir ist so schlecht«, ächzte er, fiel erst auf die Knie und rollte dann langsam auf die Seite in den roten Sand. »Mein Gott, tut das weh!« Ingrid lachte laut. »Lass die Vorstellung, das beeindruckt mich auch nicht. Steh auf!«
    lan kniete neben ihm. »Halt den Mund, Ingrid, dem geht's wirklich nicht gut.«
    Er öffnete Heiners Polohemdkragen. »Honey, hol den Notarzt!«
    Henrietta war schon losgerannt. Ingrid kicherte hysterisch »Heiner, was soll das, komm hoch, deine
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    Shorts werden ganz rot, du weißt doch, wie schwer das Zeugs rausgeht!«
    »Reiß dich zusammen, verdammt noch mal!«, fuhr lan sie an. »Hol lieber einen Sonnenschirm, dass er Schatten bekommt.« Wie eine Marionette stakste sie über den Platz und kehrte kurz darauf mit einem Schirm zurück. Danach saß sie stumm neben Heiner auf dem Boden und hielt seine Hand, bis der Notarztwagen eintraf.
    Tagelang schwebte er zwischen Leben und Tod, bekam bei einer Herzkranzgefäß-
    Dilatation einen Re-Infarkt, der ihn fast über die Schwelle stieß.
    Danach veränderte sich das Leben der Möllingdorfs für immer. Bettina und Carlo verschwanden in der Vergangenheit. Heiner gab seinen Beruf auf. »Herzinfarkt ist eine Börsenmaklerkrankheit, sollte von den Kassen als Berufskrankheit anerkannt werden«, scherzte er, nicht ohne einen ernsten Unterton.
    »Er hat wieder angefangen zu tischlern«, berichtete Ingrid auf ihrem wöchentlichen Treffen mit Henrietta, »ich male, er tischlert. - Es tut gut.«
    Sie wirkte zufrieden. Ein paar Pfund hatte sie zugelegt, aber es stand ihr gut.
    Sie verabredeten sich oft, bummelten zusammen durch die Stadt. Die Tage vergingen in Gleichförmigkeit. Henrietta rüttelte noch ein paar Mal an den unsichtbaren Gitterstäben, von denen sie sich umgeben fühlte. Aber vergebens.
    Kein Unkraut überlebte ihre wütenden Attacken auf den Garten, dessen trostloser Anblick daraufhin ihren Trübsinn nur noch steigerte. Im Schatten der Fichten waren die Pfingstrosen im Mai verkümmert, der Mohn und die Seerosen im neu angelegten Teil hatten keine Knospen angesetzt. Im Juni wuchsen die Margeriten klein und schwach, fielen um, als ihre dünnen Stängel die Blüten nicht mehr trugen. Ab und zu hoben sie müde die Köpfe vom Boden, nur ein Paar Zentimeter, um dann wieder niederzusinken. So schlängelten sie sich, auf und ab, wie fadendünne grüne Schlangen über die Erde, dazwischen klafften die Wunden ihres Wütens. Nur auf einer Seite bekam die Terrasse in den Mittagsstunden Sonne, die andere Seite
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    war vermoost und feucht, und der Efeu wucherte begierig, verschlang Meter für Meter.
    Um sich abzureagieren, räumte sie den Dachboden auf. In dem schweinsledernen Überseekoffer von Luise, der über und über mit Aufklebern aus den dreißiger Jahren bedeckt war, lagen die Hefte mit Luises Afrikageschichten. Von ihrer Großmutter hatte sie gelernt, Sütterlin zu lesen. Sie schlug das erste Heft auf, und die Wirklichkeit wich zurück.
    Als sich die Sommerdämmerung ankündigte, hatte sie alle Hefte durchgelesen.
    Sie schlug das Letzte zu, saß noch lange, unwillig, ins Jetzt zurückzukehren, bis sich langsam die Geräusche von draußen - Kinderstimmen, Vogelstimmen, Autos, Polizeisirenen - in ihre Wahrnehmung drängten und sie zurückholten. In den nächsten Tagen übertrug sie die Erzählungen nach und nach in die Schreibmaschine. Luise war mit ihr im Raum, während sie schrieb, flüsterte ihr mit ihrer ruhigen Stimme die Worte zu, nahm sie mit auf eine Reise in das

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