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Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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und seine Freunde rotteten sich zusammen, hatten plötzlich Messer und Fahrradketten in der Hand.
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    »Neil, hau ab!«, schrie Tita. »Schnell!«
    Aber der Wagen stand eingekeilt im Verkehr. Neil öffnete eben das Handschuhfach, um, wie Henrietta ahnte, seinen Revolver hervorzuholen, da wechselte die Ampel auf Grün, und die Autos fuhren an, Neil fand eine Lücke und zog davon.
    »Verdammt, Neil«, Titas Stimme überschlug sich, »lass das, du bringst uns noch in Teufels Küche!«
    »Diese Scheißkerle - jahrelang hab ich für sie gekämpft - für uns, damit wir zusammenleben können - aber ich habe nicht für dieses Ge-socks, diese Tsotsies, gekämpft, die Klebstoff schnüffeln, mit Rauschgift handeln, Frauen vergewaltigen - dafür nicht!« »Was hast du vor? Jetzt weiter deinen Privatkrieg zu führen? Soll ich wieder Angst haben, wie damals, als die Polizei hinter dir her war oder als dieser Verbrecher in unseren Garten eindrang und Sammy und mich bedrohte, weil du Moses das Leben gerettet hast?
    Ich kann nicht mehr, hörst du? Jetzt ist Schluss!« Sie warf sich schwer atmend in die Polster zurück.
    »Tita!«, rief ihre Freundin schockiert. »Das kann nicht wahr sein. Ihr habt in den Straßen getanzt, als Mandela Präsident wurde, ihr habt euch umarmt, ich habe es gesehen, jeden Tag im Fernsehen. -lan, kneif mich mal, ich glaub, ich hab einen meiner Albträume!« »Tut mir Leid, Henrietta, ich wollte dir nicht deine Ankunft verderben.« Neil sah über seine Schulter. »Es macht mich nur so wütend. Es hat so lange gedauert und so viel gekostet, und jetzt machen solche Typen das kaputt - aber vergiss es für heute einfach, bei uns draußen ist es so friedlich wie immer.« Er bog auf den North Coast Highway ein, die breite, autobahnähnliche Küstenstraße, die von üppiger Vegetation und Villenvororten gesäumt war. Auf dem Mittelstreifen blühten Frangipanis in allen Schattierungen von Weiß über Gelb bis Rot, Hibiskus prangte, haushohe Benjamina-Ficus hingen weit über die Fahrbahn. Es war verführerisch schön. So wie immer. Henrietta atmete auf, legte ihren Kopf an lans Schulter. »Wie endete der Film?«, frage Julia, lan hielt Olivia auf dem Schoß. Pausenlos erzählte sie, ihr hohes

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    Stimmchen klang wie Vogelgezwitscher, sie zeigte hierhin und dorthin auf die Wunder der Welt da draußen, mit blanken Augen und staunendem Mund. »Als alles zerstört war, als es die Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr gab, keiner mehr etwas zu essen hatte, fraßen sie sich gegenseitig.«
    Keiner sagte etwas, der einzige Laut war Olivias Gezwitscher. Julia schlang die Arme um ihren Bauch. Ihre Nase war spitz geworden, ihre Mundwinkel bebten.
    »Das ... das wird bestimmt nie so werden.«
    Rarsten zog ihren Kopf an seine Schulter, streichelte sie. »Es ist nicht zu spät, Kleines, wir werden aufpassen - wir haben noch eine Chance.« Er war erwachsener geworden in den Jahren in Afrika, ein junger Mann, der sein Leben fest in beide Hände genommen hatte. Olivia legte ihr Händchen auf den Bauch ihrer Mutter. »Will das Baby kommen, Mami?« Sie hob den Rocksaum von Julias Umstandskleid hoch. »Kann ich es sehen?«
    Alles lachte, und sie kehrten in die Wirklichkeit zurück, in der noch die Sonne schien, Blumen dufteten und Kinder fröhlich spielten. »Ich würde gern durch Umhlanga fahren«, bat Henrietta. Neu hupte. Vilikazi, der vor ihnen fuhr, drehte sich um, und Neu bedeutete ihm, dass sie in den Ort abbiegen würden. Vilikazi nickte, und sein Wagen bog nach links in die Abfahrt ein. Der Highway verläuft oberhalb Umhlangas und gewährt einen Panoramablick auf die Umgebung. Das Meer war noch immer blau, der Himmel weit, die Grünanlagen üppig, Touristen bummelten gemächlich zwischen den geschäftig umhereilenden Einheimischen. In Umhlanga schien sich der Anspruch der Regenbogennation zu erfüllen. Schwarze, Inder, Weiße, alles mischte sich in munterem Durcheinander. Ein schwarzer Bettler saß auf einem Stuhl vor dem OK-Bazaar-Kaufhaus und spielte auf der Mundharmonika, seine Augen verbarg er hinter einer Sonnenbrille mit Goldrahmen. Gekleidet war er wie ein Dandy. Rotes Polohemd, schwarze Hose mit Bügelfalte und tief in die Stirn gezogener, schwarz karierter Hut. »Unser Platzhirsch«, meinte Tita ironisch, »kein anderer hält sich
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    neben ihm, angeblich ist er blind. Kannst du die Typen da hinten sehen ...«, sie zeigte auf drei auf einer Bank hingelümmelte Gestalten mit kastenförmig geschnittenen

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