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Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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dieser Welt zu bleiben. Die Ahnen hatten offensichtlich noch kein Verlangen nach ihr. Die Dorfältesten nickten zufrieden und erklärten ihren Eltern in einer langen, gewundenen Rede, da sie noch nie ein Kind mit weißer Haut und weißen Haaren gesehen hätten, seien sie sicher, dass das ein Zeichen sei. Deswegen gedächten sie, das kleine Mädchen, das von ihren Eltern Henrietta genannt wurde, in den Stamm aufzunehmen.
    Sie brauchten Tage, um dieses Fest vorzubereiten. Papa spendierte zwei Ziegen, und vor dem Kücheneingang wurde geköchelt und gerührt und viel versprechende Gerüche zogen in Schwaden ins Haus.
    Am Morgen der Feier versammelten sich fast alle Dorfbewohner der Insel auf dem Platz vor dem Haus der Menina. Malan hielt eine kurze Rede, dann traten die Dorfältesten vor. Sie trugen einen winzigen Holzthron. Die Sitzfläche, geformt wie ein Halbmond, ruhte auf einem breiten geschnitzten Fuß.
    »Vorsichtig«, mahnte Mama, als sie ihre Tochter hinaufhoben. Danach verschwanden die Männer, bevor Papa und Mama sie aufhalten konnten, mit ihr im Busch für eine geheime Zeremonie. Mama schrie, Papa versuchte ihnen zu folgen.
    Wie aus dem Boden gewachsen standen plötzlich mehr als zwanzig Eingeborene wie eine Mauer vor ihnen.
    Nach einer halben Stunde hörte man aus dem dämmrigen Urwald das fröhliche Quietschen der Menina. Wenig später erschien eine beeindruckende Prozession.
    Angeführt von einem jungen Mann, der im Takt seiner Felltrommel rannte, folgten im Trab die Dorfältesten und ihnen die jüngeren Männer, die alle eine rote Haartracht aus Lehm trugen, kreisrund wie eine Kappe. Manche hatten sich mit ei-60
    ner Kette aus Hundezähnen geschmückt und bunte Vogelfedern an einem Reif um den Oberarm gesteckt.
    Dann lief ein zeremonieller Tänzer auf den Platz. Bis auf ein schmales Tuch, dass er zwischen den Beinen durchgezogen an einem breiten Gürtel befestigt trug, war er nackt. Schnüre mit Kaurimuscheln hingen vom Gürtel über seine Hüften, an dem Stiergehörn, das mit einem breiten wulstigen Band an seinem Kopf befestigt war, baumelten dichte Büschel von getrockneten Palmblattfasern, umrahmten sein Gesicht wie die Mähne eines Löwen. Von den Spitzen der Hörner schwangen bodenlange gedrehte Kordeln mit dicken Grasquasten, mit jeder seiner Bewegungen klickten die großen Hundezähne an seiner Halskette, klingelten die Kaurimuscheln, raschelten die Grasbüschel. Um seinen Oberarm gewunden trug er ein buntbedrucktes Tuch.
    »Mein Seidenschal«, zischte Mama, »deswegen konnte ich ihn nicht finden!«
    Papa lachte nur ungläubig. »Na, das ist doch ... !«, rief er, verstummte dann aber.
    Die Männer bildeten einen Halbkreis und der Tänzer schüttelte zum Auftakt seinen Schellenstab, drehte eine Pirouette. Mit geschlossenen Augen steigerte er sich im Takt zu den harten Trommelschlägen in Trance, wirbelte, stampfte, grunzte. Nun erschienen zwei baumlange junge Männer, die auf ihren Schultern Henrietta in ihrem kleinen Sitz trugen. Ihre Haare waren mit rotem Lehm verschmiert, und um ihre winzigen Hüften lag ein puscheliger Bastrock, reich verziert mit den kostbaren Kaurimuscheln. Behutsam wurde sie von ihren Trägern gestützt.
    »Allmächtiger Gott«, rief Mama, praktisch in allen Lebenslagen, »wie soll ich bloß den Lehm wieder herauswaschen!« Sie feierten mehrere Tage, hielten ausschweifende Reden auf die Menina, aßen und tranken Unmengen, und am Ende des letzten Tages trat der Alteste aller Inselbewohner vor und hüb an zu sprechen. Malan stand auf und übersetzte. In ihrer ausschweifenden Art beschrieb er das Leben auf der Insel,
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    malte ein ausführliches Bild der weißen Fremdlinge, die in einem Rauchboot gekommen waren und Gegenstände aus Eisen aufgestellt hatten, die sich von allein bewegten, aber keine Seele hatten. Diese seelenlosen Dinger, die die weißen Fremdlinge Maschinen nannten, fraßen unter großem Lärm Palmennüsse und spuckten Öl aus. Da man den Bauch dieser Maschinen aber immer wieder mit den Palmnüssen füllen musste, habe er den Verdacht, dass sie doch eine Seele hätten.
    Als er endlich zum Schluss kam, erklärte er, dass die Menina in seinen Stamm aufgenommen worden war und dass diese Handlung durch die Namen, die sie ihr gegeben hätten, besiegelt würde. Feierlich nannte er dann diese Namen. Neben dem Stammesnamen hatte sie noch vier weitere erhalten.
    Der erste der vier drückte aus, welches Problem die Menschen der Inseln in diesem Moment am meisten

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