Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
I
Dumpf drangen die Geräusche aus dem Haupthaus in den engen Verschlag, in welchem sich Anna Pippel versteckt hielt. Seit Stunden saß sie nun in diesem stinkenden Verlies und wartete darauf, dass das Wüten und Toben bald ein Ende finden würde und sie mit ihrem gewohnten Tagwerk fortfahren konnte. Sie war ein geduldiger Mensch, konnte vieles über sich ergehen lassen, doch die Enge ihrer winzigen Notherberge und vor allem der grausige Geruch wurden langsam unerträglich.
Es war schon viele Jahre her – Anna wusste selbst nicht mehr genau, wie viele -, da hatte sie noch zusammen mit ihrem Mann Friedrich dieses Loch gegraben, in dem sie nun hockte. Damals war der tolle Christian, wie man den Herzog von Braunschweig nannte, immer und immer wieder mit seinen Soldaten in die Dörfer der Gegend eingefallen und hatte auch das ihre so manches Mal heimgesucht.
Anna selbst hatte die Idee gehabt, den Eingang des Schlupflochs, in welchem sie sich bei weiteren Überfällen zu dritt verstecken wollten, unter dem Misthaufen zu verbergen. Dieser Vorschlag reute sie nun sehr, denn derselbe Misthaufen war es, der ihr im Moment die ohnehin spärliche Luft zusätzlich bestialisch verpestete. Wollte man unter Mist lediglich die Reste tierischer Auswürfe verstehen, so war diese Ansammlung von Unrat mehr als das: Hier tummelte sich alles, was Tier wie Mensch an Übelriechendem tagtäglich produzierte, und das seit Monaten. So war es kein Wunder, dass Anna in ihrem Verlies nicht allein war. Außer ihr fanden dort unzählige Insekten aller Art Unterschlupf und vermehrten sich in seinem feuchtwarmen Klima seit Jahren prächtig. Ganz so gut wie ihnen ging es Anna nicht, denn außer an eingeschlafenen Gliedern, unmöglich zu linderndem Juckreiz und erdrückender Atemnot litt sie auch unter zunehmender Angst.
Und wieder war dieses schreckliche, grausame Quieken zu hören, begleitet von dröhnendem Männergelächter. Zunächst hatte sie angenommen, dass die einfallenden Horden damit begonnen hätten, die schweine des Bauern zu schlachten. Doch dann wurde immer unverkennbarer, dass diese abscheulichen Geräusche von Katharina, der drallen Magd des Bauern, stammen mussten.
Zwar war Katharina kein Kind von Traurigkeit, das wusste mindestens jeder zweite Mann im Dorf, den Bauern und den Pfarrer nicht ausgenommen. Doch was da jetzt mit ihr geschah, das passierte eindeutig gegen ihren Willen. Aber was sollte man tun? Helfen konnte Anna ihr nicht, das hätte nichts genutzt. Und eigentlich dachte sie auch gar nicht darüber nach, denn letztendlich wären sie dann alle beide zu Opfern geworden.
Diese Lektion hatte sie in den letzten Jahren gelernt, immer dann, wenn sich Katholische oder Evangelische über ihr Dorf mit all seinem Vieh und seinen Frauen hergemacht hatten. Sie würde einfach in ihrem stinkenden Loch bleiben und hoffen, dass sich niemand für diese heruntergekommene Kate interessierte, in der nichts zu finden war außer einer betagten Ziege und ihr – einer Frau, die allmählich kein ganz so frisches Mädchen mehr war wie Katharina. Nur Feuer legen, dachte Anna, Feuer legen, das durften sie nicht.
Feuer war Annas größte Sorge, denn elendig verbrennen wollte sie in ihrem Versteck auf keinen Fall. Ihre zweitgrößte Sorge galt ihrer Schwester Mine. Heute Morgen, schon in aller Frühe, war sie in den Wald aufgebrochen, um Holz zu sammeln. Doch sie war nicht zurückgekehrt, und dann waren die fremden Reiter ins Dorf gekommen. Es waren mindestens zwölf, und so, wie einige von ihnen gerade mit Katharina umgingen, waren die ganz und gar nicht zimperlich.
Mine war der einzige Mensch, der Anna noch geblieben war. Sie war nicht ganz richtig im Kopf, und ihre Mutter hatte immer erzählt, dass Mine schon bei der Geburt den Teufel gesehen habe, denn bereits als kleines Kind litt sie an der Fallsucht. Dabei hatte sie sich irgendwann so sehr den Kopf angeschlagen, dass sie tagelang nicht aufwachen wollte und die Eltern beim Pfarrer schon das Begräbnis bestellten. Dann kam sie aber doch wieder zu sich. Doch seitdem sprach sie kein einziges Wort mehr. Nur laut lachen und Melodien summen, das konnte sie. Jetzt war Mine hoffentlich im Wald geblieben und hatte sich gut versteckt, bis dieser Spuk hier vorüber war.
Die lustige Katharina schrie nun nicht mehr. Ganz still war sie geworden, und auch das Gegröle der Männer war verstummt. Stattdessen hörte Anna nun Hämmern, Schlagen, Brechen und Gackern. Wahrscheinlich nahmen sie gerade das
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