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Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Ntombela geworden, ein wildes Wesen, das, heisere Schreie ausstoßend, in einem barbarischen Tanz barfuß auf die rote Erde Zululands stampfte, zusammengekauert in einer stinkenden Hütte zu Füßen seines Sangoma, des Zauberdoktors, hockte und sich die Knochen werfen ließ, um sich seine Zukunft deuten zu lassen.
    Sie schwiegen lange, als sie an diesem Abend nach Hause fuhren. Plötzlich lachte lan auf. »Bitte stell dir vor, ich trüge bayerische Krachlederne, einen Gamsbarthut, würde den Schuhplattler tanzen und hinterher zum Astrologen gehen.«
    Sie lachte auch, aber ihre innere Verbindung zu ihren schwarzen Freunden war eine andere als lans. Sie reichte zurück in eine Zeit, in der Worte noch keine Bedeutung für sie hatten, nur als Melodie in ihr nachklangen, in eine Zeit, in der sie die Welt atmete, ertastete, in sich hineinsog, mit ihrer Haut erfühlte.
    Als sie geboren wurde, auf dieser kleinen Insel vor Afrika, war ihre Mutter sehr krank, gelb von Malaria, geschwächt durch eine Behandlung, die ihr weißer Arzt, ein versoffener alter Mann, der einzige seines Berufes auf den Inseln, Reinigung nannte. Er verordnete ihr zwei Mal täglich starke Abfuhrtabletten und einen täglichen Einlauf, Maßnahmen, die den Magen und Darm von allen schlechten Stoffen reinigen sollten. Doch das Ergebnis war, dass sie chronischen Durchfall und dadurch schlimme Mangelerscheinungen erlitt. Mama war noch von altem Schrot und Korn, für sie war ein Arzt einer Gottheit nahe.
    Sie folgte seinen Anweisungen aufs Wort und brachte sich und ihr Kind fast damit um.
    Sie wuchs in ihrem Bauch, ernährte sich von ihr, raubte ihr alles, was sie von ihr bekommen konnte, und das war wenig genug. Als sie endlich auf die Welt kam, war sie ein jämmerlich mageres Bündel und ihre Mutter fast tot.
    Malan, ihr Hausboy, betrachtete das winzige Mädchen abschätzend. Bekümmert nagte er an seinem Daumennagel. »Sie ist noch nicht fertig, sie ist weiß wie eine Made, die noch unter der Erde lebt, sie 58
    muss noch mal zurück.« Kopfschüttelnd bedeutete er seinen wartenden Dorfältesten, dass es mit ihr wohl nichts werden würde. Trotzdem saß er jeden Tag auf dem Boden vor ihrer Wiege und wartete. Ihre Mutter lag im Nebenzimmer.
    Sie war am Ende ihrer Kräfte und dämmerte vor sich hin. Die erste Zeit überlebte Henrietta hauptsächlich mit Zuckerwasser, dem ein wenig Ziegenmilch zugesetzt war, denn Kuhmilch gab es auf den Inseln nicht. Malan beobachtete diese Situation, sah zu, wie das Baby weniger und weniger wurde und sein Schreien so leise, dass es die Mutter nebenan nicht mehr hörte. Eines Tages hob er die Menina, das Mädchen, wie er sie nannte, aus der Wiege, wickelte sie in ein Tuch, so dass sie wie eine kleine Mumienpuppe in seinen Armen lag, und verschwand mit ihr im Busch. Von dem Tag an fing Henrietta an zu gedeihen, sie wurde zwar nicht dunkler, blieb weiß wie eine Made mit blonden Haaren, aber sie wuchs, und ihr Schreien wurde wieder laut und fordernd. Keiner verstand, wie sie mit dem Wenigen, was sie bekam, so groß und kräftig wurde, bis ihre Mutter, die mittlerweile wieder aufstehen konnte, der Sache nachging. Sie überraschte Malan, wie er mit der Kleinen im Arm über den Hühnerhof lief und durch eine Lücke in der übermannshohen Hibiskushecke schlüpfte. Sie griff sich ein Gewehr und folgte ihm.
    Malan und seine Frau Maria mussten bis in ihr Innerstes erschrocken sein, als Henriettas Mutter sich urplötzlich durch die niedrige Öffnung ihrer Hütte duckte und vor ihnen stand. Maria hatte vor kurzem selbst ein Kind bekommen.
    Sie hockte, nackt bis auf ihren Fransenschurz, auf ihrem Bett, einem Brett zwischen zwei Lehmwänden, mit Fransenschurzen belegt, und hielt beide Babys im Arm. Das weiße hielt sie links, damit es durch das Pochen ihres Herzens ruhiger würde, und ihr eigenes Kind rechts. Die Kleinen tranken gierig, nur ihr Schnüffeln und Schmatzen und das Gesumm vieler Fliegen war zu hören.
    »Es gab ein furchtbares Donnerwetter«, erzählte ihr Mama, als sie älter war,
    »und Malan durfte dich zur Strafe für einen Monat nicht anfassen.«
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    Sie fror, als sie das hörte.
    Später dann, als Malan wieder verziehen war, wurden beide zu einer bekannten Erscheinung. Der junge Schwarze im Lendenschurz mit der roten Hibiskusblüte hinter dem Ohr, auf dem Arm das juchzende kleine weiße Mädchen mit den feinen hellblonden Locken. Nach sechs Monaten verkündete er, dass es nun gut sei, die Menina werde es schaffen, auf

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